Ungekürztes Werk "Faust 2" von Johann Wolfgang Goethe (Seite 86)

sie schleicht sich durchs Schlüsselloch ein.

Sorge verschwindet.

MANGEL. Ihr, graue Geschwister, entfernt euch von hier!

SCHULD. Ganz nah an der Seite verbind ich mich dir.

NOT. Ganz nah an der Ferse begleitet die Not.

ZU DREI. Es ziehen die Wolken, es schwinden die Sterne!

Dahinten, dahinten! von ferne, von ferne,

Da kommt er, der Bruder, da kommt er, der – – – Tod.

FAUST im Palast.

Vier sah ich kommen, drei nur gehn;

Den Sinn der Rede konnt ich nicht verstehn.

Es klang so nach, als hieß es: Not,

Ein düstres Reimwort folgte: Tod!

Es tönte hohl, gespensterhaft gedämpft.

Noch hab ich mich ins Freie nicht gekämpft.

Könnt ich Magie von meinem Pfad entfernen,

Die Zaubersprüche ganz und gar verlernen,

Stünd ich, Natur, vor dir ein Mann allein,

Da wärs der Mühe wert, ein Mensch zu sein!

Das war ich sonst, eh ichs im Düstern suchte,

Mit Frevelwort mich und die Welt verfluchte.

Nun ist die Luft von solchem Spuk so voll,

Daß niemand weiß, wie er ihn meiden soll.

Wenn auch Ein Tag uns klar-vernünftig lacht,

In Traumgespinst verwickelt uns die Nacht!

Wir kehren froh von junger Flur zurück:

Ein Vogel krächzt! Was krächzt er? Mißgeschick!

Von Aberglauben früh und spat umgarnt:

Es eignet sich, es zeigt sich an, es warnt!

Und so verschüchtert, stehen wir allein. –

Die Pforte knarrt, und niemand kommt herein.

Erschüttert.

Ist jemand hier?

SORGE.             Die Frage fordert Ja!

FAUST. Und du, wer bist denn du?

SORGE.                                           Bin einmal da.

FAUST. Entferne dich!

SORGE.                       Ich bin am rechten Ort.

FAUST erst ergrimmt, dann besänftigt, für sich.

Nimm dich in acht und sprich kein Zauberwort!

SORGE. Würde mich kein Ohr vernehmen,

Müßt es doch im Herzen dröhnen;

In verwandelter Gestalt

Üb ich grimmige Gewalt:

Auf den Pfaden, auf der Welle,

Ewig ängstlicher Geselle,

Stets gefunden, nie gesucht,

So geschmeichelt wie verflucht! –

Hast du die Sorge nie gekannt?

FAUST. Ich bin nur durch die Welt gerannt!

Ein jed Gelüst ergriff ich bei den Haaren,

Was nicht genügte, ließ ich fahren,

Was mir entwischte, ließ ich ziehn.

Ich habe nur begehrt und nur vollbracht

Und abermals gewünscht und so mit Macht

Mein Leben durchgestürmt: erst groß und mächtig,

Nun aber geht es weise, geht bedächtig.

Der Erdenkreis ist mir genug bekannt.

Nach drüben ist die Aussicht uns verrannt;

Tor, wer dorthin die Augen blinzelnd richtet,

Sich über Wolken seinesgleichen dichtet!

Er stehe fest und sehe hier sich um:

Dem Tüchtigen ist diese Welt nicht stumm!

Was braucht er in die Ewigkeit zu schweifen?

Was er erkennt, läßt sich ergreifen.

Er wandle so den Erdentag entlang;

Wenn Geister spuken, geh er seinen Gang,

Im Weiterschreiten find er Qual und Glück,

Er, unbefriedigt jeden Augenblick!

SORGE. Wen ich einmal mir besitze,

Dem ist alle Welt nichts nütze:

Ewiges Düstre steigt herunter,

Sonne geht nicht auf noch unter,

Bei vollkommnen äußern Sinnen

Wohnen Finsternisse drinnen,

Und er weiß von allen Schätzen

Sich nicht in Besitz zu setzen.

Glück und Unglück wird zur Grille,

Er verhungert in der Fülle,

Sei es Wonne, sei es Plage,

Schiebt ers zu dem andern Tage,

Ist der

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