Ungekürztes Werk "Faust 2" von Johann Wolfgang Goethe (Seite 87)

Zukunft nur gewärtig,

Und so wird er niemals fertig.

FAUST. Hör auf! so kommst du mir nicht bei!

Ich mag nicht solchen Unsinn hören.

Fahr hin! Die schlechte Litanei,

Sie könnte selbst den klügsten Mann betören.

SORGE. Soll er gehen? soll er kommen?

Der Entschluß ist ihm genommen;

Auf gebahnten Weges Mitte

Wankt er tastend halbe Schritte.

Er verliert sich immer tiefer,

Siehet alle Dinge schiefer,

Sich und andre lästig drückend,

Atem holend und erstickend,

Nicht erstickt und ohne Leben,

Nicht verzweiflend, nicht ergeben.

So ein unaufhaltsam Rollen,

Schmerzlich Lassen, widrig Sollen,

Bald Befreien, bald Erdrücken,

Halber Schlaf und schlecht Erquicken

Heftet ihn an seine Stelle

Und bereitet ihn zur Hölle.

FAUST. Unselige Gespenster! so behandelt ihr

Das menschliche Geschlecht zu tausend Malen;

Gleichgültige Tage selbst verwandelt ihr

In garstigen Wirrwarr netzumstrickter Qualen.

Dämonen, weiß ich, wird man schwerlich los,

Das geistig-strenge Band ist nicht zu trennen;

Doch deine Macht, o Sorge, schleichend-groß,

Ich werde sie nicht anerkennen!

SORGE. Erfahre sie, wie ich geschwind

Mich mit Verwünschung von dir wende!

Die Menschen sind im ganzen Leben blind:

Nun, Fauste, werde dus am Ende!

Sie haucht ihn an.

FAUST erblindet. Die Nacht scheint tiefer tief hereinzudringen,

Allein im Innern leuchtet helles Licht:

Was ich gedacht, ich eil es zu vollbringen;

Des Herren Wort, es gibt allein Gewicht.

Vom Lager auf, ihr Knechte! Mann für Mann!

Laßt glücklich schauen, was ich kühn ersann!

Ergreift das Werkzeug! Schaufel rührt und Spaten!

Das Abgesteckte muß sogleich geraten.

Auf strenges Ordnen, raschen Fleiß

Erfolgt der allerschönste Preis;

Daß sich das größte Werk vollende

Genügt ein Geist für tausend Hände.

 

Großer Vorhof des Palasts

 

Fackeln.

MEPHISTOPHELES als Aufseher voran.

Herbei! herbei! Herein, herein!

Ihr schlotternden Lemuren,

Aus Bändern, Sehnen und Gebein

Geflickte Halbnaturen!

LEMUREN im Chor. Wir treten dir sogleich zur Hand,

Und wie wir halb vernommen,

Es gilt wohl gar ein weites Land,

Das sollen wir bekommen.

Gespitzte Pfähle, die sind da,

Die Kette lang fürs Messen;

Warum an uns der Ruf geschah,

Das haben wir vergessen.

MEPHISTOPHELES. Hier gilt kein künstlerisch Bemühn!

Verfahret nur nach eignen Maßen:

Der Längste lege längelang sich hin!

Ihr andern lüftet ringsumher den Rasen!

Wie mans für unsre Väter tat,

Vertieft ein längliches Quadrat!

Aus dem Palast ins enge Haus:

So dumm läuft es am Ende doch hinaus.

LEMUREN mit neckischen Gebärden grabend.

Wie jung ich war und lebt und liebt,

Mich deucht, das war wohl süße!

Wos fröhlich klang und lustig ging,

Da rührten sich meine Füße.

Nun hat das tückische Alter mich

Mit seiner Krücke getroffen;

Ich stolpert über Grabes Tür:

Warum stand sie just offen!

FAUST aus dem Palaste tretend, tastet an den Türpfosten.

Wie das Geklirr der Spaten mich ergötzt!

Es ist die Menge, die mir frönet,

Die Erde mit sich selbst versöhnet,

Den Wellen ihre Grenze setzt,

Das Meer mit strengem Band umzieht.

MEPHISTOPHELES beiseite. Du bist doch nur für uns bemüht

Mit deinen Dämmen, deinen Buhnen;

Denn du bereitest schon Neptunen,

Dem Wasserteufel, großen Schmaus.

In jeder Art seid ihr verloren:

Die Elemente sind mit uns verschworen

Und auf Vernichtung läufts hinaus.

FAUST. Aufseher!

MEPHISTOPHELES. Hier!

FAUST.    

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