Ungekürztes Werk "Götz von Berlichingen mit der eisernen Hand" von Johann Wolfgang Goethe (Seite 12)

Bischöflichen Palaste Zu Bamberg

Der Speisesaal.

Bischof von Bamberg. Abt von Fulda. Olearius. Liebetraut. Hofleute. An Tafel. Der Nachtisch und die großen Pokale werden aufgetragen.

BISCHOF: Studieren jetzt viele Deutsche von Adel zu Bologna?

OLEARIUS: Vom Adel- und Bürgerstande. Und ohne Ruhm zu melden, tragen sie das größte Lob davon. Man pflegt im Sprichwort auf der Akademie zu sagen: “So fleißig wie ein Deutscher von Adel.” Denn indem die Bürgerlichen einen rühmlichen Fleiß anwenden, durch Talente den Mangel der Geburt zu ersetzen, so bestreben sich jene mit rühmlicher Wetteiferung, ihre angeborne Würde durch die glänzendsten Verdienste zu erhöhen.

ABT: Ei!

LIEBETRAUT: Sag einer, was man nicht erlebet! So fleißig wie ein Deutscher von Adel! Das hab ich mein Tage nicht gehört.

OLEARIUS: Ja, sie sind die Bewunderung der ganzen Akademie. Es werden ehestens einige von den ältesten und geschicktesten als Doctores zurückkommen. Der Kaiser wird glücklich sein, die ersten Stellen damit besetzen zu können.

BISCHOF: Das kann nicht fehlen.

ABT: Kennen Sie nicht zum Exempel einen Junker? – er ist aus Hessen –

OLEARIUS: Es sind viel Hessen da.

ABT: Er heißt – er ist – Weiß es keiner von euch? – Seine Mutter war eine von – Oh! Sein Vater hatte nur ein Aug – und war Marschall.

LIEBETRAUT: Von Wildenholz?

ABT: Recht – von Wildenholz.

OLEARIUS: Den kenn ich wohl, ein junger Herr von vielen Fähigkeiten. Besonders rühmt man ihn wegen seiner Stärke im Disputieren.

ABT: Das hat er von seiner Mutter.

LIEBETRAUT: Nur wollte sie ihr Mann niemals drum rühmen.

BISCHOF: Wie sagtet Ihr, daß der Kaiser hieß, der Euer Corpus iuris geschrieben hat?

OLEARIUS: Justinianus.

BISCHOF: Ein trefflicher Herr! er soll leben!

OLEARIUS: Sein Andenken!

Sie trinken.

ABT: Es mag ein schön Buch sein.

OLEARIUS: Man möcht's wohl ein Buch aller Bücher nennen; eine Sammlung aller Gesetze; bei jedem Fall der Urteilsspruch bereit; und was ja noch abgängig oder dunkel wäre, ersetzen die Glossen, womit die gelehrtesten Männer das vortrefflichste Werk geschmückt haben.

ABT: Eine Sammlung aller Gesetze! Potz! Da müssen wohl auch die Zehn Gebote drin sein.

OLEARIUS: Implicite wohl, nicht explicite.

ABT: Das mein ich auch, an und vor sich, ohne weitere Explikation.

BISCHOF: Und was das Schönste ist, so könnte, wie Ihr sagt, ein Reich in sicherster Ruhe und Frieden leben, wo es völlig eingeführt und recht gehandhabt würde?

OLEARIUS: Ohne Frage.

BISCHOF: Alle Doctores iuris!

OLEARIUS: Ich werd's zu rühmen wissen.

Sie trinken.

Wollte Gott, man spräche so in meinem Vaterlande!

ABT: Wo seid Ihr her, hochgelahrter Herr?

OLEARIUS: Von Frankfurt am Main, Ihro Eminenz zu dienen.

BISCHOF: Steht ihr Herrn da nicht wohl angeschrieben? Wie kommt das?

OLEARIUS: Sonderbar genug. Ich war da, meines Vaters Erbschaft abzuholen; der Pöbel hätte mich fast gesteinigt, wie er hörte, ich sei ein Jurist.

ABT: Behüte Gott!

OLEARIUS: Aber das kommt daher: der Schöppenstuhl, der in großem Ansehn weit umher steht, ist mit lauter Leuten besetzt, die der Römischen Rechte unkundig sind. Man glaubt, es sei genug, durch Alter und Erfahrung sich eine genaue Kenntnis des innern und äußern Zustandes der Stadt zu erwerben. So werden, nach altem Herkommen und wenigen Statuten, die Bürger und die Nachbarschaft gerichtet.

ABT: Das ist wohl gut.

OLEARIUS: Aber lange nicht genug. Der Menschen Leben ist kurz,

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