Ungekürztes Werk "Iphigenie auf Tauris" von Johann Wolfgang Goethe (Seite 12)

vermag alsdann

Mit heißem Wunsch allein euch beizustehn.

O werter Landsmann! Selbst der letzte Knecht,

Der an den Herd der Vatergötter streifte,

Ist uns in fremdem Lande hoch willkommen:

Wie soll ich euch genug mit Freud und Segen

Empfangen, die ihr mir das Bild der Helden,

Die ich von Eltern her verehren lernte,

Entgegenbringet und das innre Herz

Mit neuer, schöner Hoffnung schmeichelnd labet!

Orest:

Verbirgst du deinen Namen, deine Herkunft

Mit klugem Vorsatz? oder darf ich wissen,

Wer mir, gleich einer Himmlischen, begegnet?

Iphigenie:

Du sollst mich kennen. Jetzo sag mir an,

Was ich nur halb von deinem Bruder hörte,

Das Ende derer, die, von Troja kehrend,

Ein hartes, unerwartetes Geschick

Auf ihrer Wohnung Schwelle stumm empfing.

Zwar ward ich jung an diesen Strand geführt;

Doch wohl erinnr ich mich des scheuen Blicks,

Den ich mit Staunen und mit Bangigkeit

Auf jene Helden warf. Sie zogen aus,

Als hätte der Olymp sich aufgetan

Und die Gestalten der erlauchten Vorwelt

Zum Schrecken Ilions herabgesendet,

Und Agamemnon war vor allen herrlich!

O sage mir! er fiel, sein Haus betretend,

Durch seiner Frauen und Ägisthens Tücke?

Orest:

Du sagst’s!

Iphigenie: Weh dir, unseliges Myken!

So haben Tantals Enkel Fluch auf Fluch

Mit vollen, wilden Händen ausgesät.

Und, gleich dem Unkraut, wüste Häupter schüttelnd

Und tausendfält’gen Samen um sich streuend,

Den Kindeskindern nahverwandte Mörder

Zur ew’gen Wechselwut erzeugt! Enthülle,

Was von der Rede deines Bruders schnell

Die Finsternis des Schreckens mir verdeckte.

Wie ist des großen Stammes letzter Sohn,

Das holde Kind, bestimmt, des Vaters Rächer

Dereinst zu sein, wie ist Orest dem Tage

Des Bluts entgangen? Hat ein gleich Geschick

Mit des Avernus Netzen ihn umschlungen?

Ist er gerettet? Lebt er? Lebt Elektra?

Orest:

Sie leben.

Iphigenie: Goldne Sonne, leihe mir

Die schönsten Strahlen, lege sie zum Dank

Vor Jovis Thron! denn ich bin arm und stumm.

Orest:

Bist du gastfreundlich diesem Königshause,

Bist du mit nähern Banden ihm verbunden,

Wie deine schöne Freude mir verrät,

So bändige dein Herz und halt es fest!

Denn unerträglich muß dem Fröhlichen

Ein jäher Rückfall in die Schmerzen sein.

Du weißt nur, merk ich, Agamemnons Tod.

Iphigenie:

Hab ich an dieser Nachricht nicht genug?

Orest:

Du hast des Greuels Hälfte nur erfahren.

Iphigenie:

Was fürcht ich noch? Orest, Elektra leben.

Orest:

Und fürchtest du für Klytämnestren nichts?

Iphigenie:

Sie rettet weder Hoffnung, weder Furcht.

Orest:

Auch schied sie aus dem Land der Hoffnung ab.

Iphigenie:

Vergoß sie reuig wütend selbst ihr Blut?

Orest:

Nein, doch ihr eigen Blut gab ihr den Tod.

Iphigenie:

Sprich deutlicher, daß ich nicht länger sinne.

Die Ungewißheit schlägt mir tausendfältig

Die dunkeln Schwingen um das bange Haupt.

Orest:

So haben mich die Götter ausersehn

Zum Boten einer Tat, die ich so gern

Ins klanglos-dumpfe Höhlenreich der Nacht

Verbergen möchte? Wider meinen Willen

Zwingt mich dein holder Mund; allein er darf

Auch etwas Schmerzlichs fordern und erhält’s.

Am Tage, da der Vater fiel, verbarg

Elektra rettend ihren Bruder: Strophius,

Des Vaters Schwäher, nahm ihn willig auf,

Erzog ihn neben seinem eignen Sohne,

Der, Pylades genannt, die schönsten Bande

Der Freundschaft um den Angekommnen knüpfte.

Und wie sie wuchsen, wuchs in ihrer Seele

Die brennende Begier, des Königs Tod

Zu rächen. Unversehen, fremd gekleidet,

Erreichen sie Myken, als brächten sie

Die Trauernachricht von Orestens Tode

Mit seiner Asche. Wohl empfänget sie

Die Königin; sie treten in das Haus.

Elektren gibt Orest sich zu erkennen;

Sie bläst der Rache Feuer in ihm auf,

Das vor der Mutter heil’ger Gegenwart

In sich zurückgebrannt war. Stille führt

Sie ihn zum Orte, wo sein Vater fiel,

Wo eine alte, leichte Spur des frech

Vergoßnen Blutes oft gewaschnen Boden

Mit blassen, ahndungsvollen Streifen färbte.

Mit

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