Ungekürztes Werk "Iphigenie auf Tauris" von Johann Wolfgang Goethe (Seite 14)

mit eurem.

Du rettest den Verbrecher nicht, zu dem

Du dich gesellst, und teilest Fluch und Not.

Iphigenie:

Mein Schicksal ist an deines fest gebunden.

Orest:

Mitnichten! Laß allein und unbegleitet

Mich zu den Toten gehn. Verhülltest du

In deinen Schleier selbst den Schuldigen:

Du birgst ihn nicht vorm Blick der immer Wachen,

Und deine Gegenwart, du Himmlische,

Drängt sie nur seitwärts und verscheucht sie nicht.

Sie dürfen mit den ehrnen frechen Füßen

Des heil’gen Waldes Boden nicht betreten;

Doch hör ich aus der Ferne hier und da

Ihr gräßliches Gelächter. Wölfe harren

So um den Baum, auf den ein Reisender

Sich rettete. Da draußen ruhen sie

Gelagert; und verlaß ich diesen Hain,

Dann steigen sie, die Schlangenhäupter schüttelnd,

Von allen Seiten Staub erregend auf

Und treiben ihre Beute vor sich her.

Iphigenie:

Kannst du, Orest, ein freundlich Wort vernehmen?

Orest:

Spar es für einen Freund der Götter auf.

Iphigenie:

Sie geben dir zu neuer Hoffnung Licht.

Orest:

Durch Rauch und Qualm seh ich den matten Schein

Des Totenflusses mir zur Hölle leuchten.

Iphigenie:

Hast du Elektren, eine Schwester nur?

Orest:

Die eine kannt ich; doch die ältste nahm

Ihr gut Geschick, das uns so schrecklich schien,

Beizeiten aus dem Elend unsers Hauses.

O laß dein Fragen und geselle dich

Nicht auch zu den Erinnyen; sie blasen

Mir schadenfroh die Asche von der Seele

Und leiden nicht, daß sich die letzten Kohlen

Von unsers Hauses Schreckensbrande still

In mir verglimmen. Soll die Glut denn ewig,

Vorsätzlich angefacht, mit Höllenschwefel

Genährt, mir auf der Seele marternd brennen?

Iphigenie:

Ich bringe süßes Rauchwerk in die Flamme.

O laß den reinen Hauch der Liebe dir

Die Glut des Busens leise wehend kühlen.

Orest, mein Teurer, kannst du nicht vernehmen?

Hat das Geleit der Schreckensgötter so

Das Blut in deinen Adern aufgetrocknet?

Schleicht, wie vom Haupt der gräßlichen Gorgone,

Versteinernd dir ein Zauber durch die Glieder?

O wenn vergoßnen Mutterblutes Stimme

Zur Höll hinab mit dumpfen Tönen ruft,

Soll nicht der reinen Schwester Segenswort

Hülfreiche Götter vom Olympus rufen?

Orest:

Es ruft! es ruft! So willst du mein Verderben?

Verbirgt in dir sich eine Rachegöttin?

Wer bist du, deren Stimme mir entsetzlich

Das Innerste in seinen Tiefen wendet?

Iphigenie:

Es zeigt sich dir im tiefsten Herzen an:

Orest, ich bin’s! Sieh Iphigenien!

Ich lebe!

Orest: Du!

Iphigenie: Mein Bruder!

Orest: Laß! Hinweg!

Ich rate dir, berühre nicht die Locken!

Wie von Kreusas Brautkleid zündet sich

Ein unauslöschlich Feuer von mir fort.

Laß mich! Wie Herkules will ich Unwürd’ger

Den Tod voll Schmach, in mich verschlossen, sterben.

Iphigenie:

Du wirst nicht untergehn! O daß ich nur

Ein ruhig Wort von dir vernehmen könnte!

O löse meine Zweifel, laß des Glückes,

Des lang erflehten, mich auch sicher werden.

Es wälzet sich ein Rad von Freud und Schmerz

Durch meine Seele. Von dem fremden Manne

Entfernet mich ein Schauer; doch es reißt

Mein Innerstes gewaltig mich zum Bruder.

Orest:

Ist hier Lyäens Tempel? und ergreift

Unbändig-heil’ge Wut die Priesterin?

Iphigenie:

O höre mich! O sieh mich an, wie mir

Nach einer langen Zeit das Herz sich öffnet,

Der Seligkeit, dem Liebsten, was die Welt

Noch für mich tragen kann, das Haupt zu küssen,

Mit meinen Armen, die den leeren Winden

Nur ausgebreitet waren, dich zu fassen!

O laß mich! Laß mich! Denn es quillet heller

Nicht vom Parnaß die ew’ge Quelle sprudelnd

Von Fels zu Fels ins goldne Tal hinab,

Wie Freude mir vom Herzen wallend fließt

Und wie ein selig Meer mich rings umfängt.

Orest! Orest! Mein Bruder!

Orest: Schöne Nymphe,

Ich traue dir und deinem Schmeicheln nicht.

Diana fordert strenge Dienerinnen

Und rächet das entweihte Heiligtum.

Entferne deinen Arm

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