Ungekürztes Werk "Wilhelm Meisters Lehrjahre" von Johann Wolfgang Goethe (Seite 354)

schon einige Zeit abmerken.”

“Ich bin es”, versetzte der Freund, “und ich sehe ein wichtiges Geschäft vor mir, das bei uns schon lange vorbereitet ist und jetzt notwendig angegriffen werden muß. Sie wissen schon etwas im allgemeinen davon, und ich darf wohl vor unserm jungen Freunde davon reden, weil es auf ihn ankommen soll, ob er teil daran zu nehmen Lust hat. Sie werden mich nicht lange mehr sehen, denn ich bin im Begriff, nach Amerika überzuschiffen.”

“Nach Amerika?” versetzte Wilhelm lächelnd; “ein solches Abenteuer hätte ich nicht von Ihnen erwartet, noch weniger, daß Sie mich zum Gefährten ausersehen würden.”

“Wenn Sie unsern Plan ganz kennen”, versetzte Jarno, “so werden Sie ihm einen bessern Namen geben und vielleicht für ihn eingenommen werden. Hören Sie mich an! Man darf nur ein wenig mit den Welthändeln bekannt sein, um zu bemerken, daß uns große Veränderungen bevorstehn und daß die Besitztümer beinahe nirgends mehr recht sicher sind.”

“Ich habe keinen deutlichen Begriff von den Welthändeln”, fiel Wilhelm ein, “und habe mich erst vor kurzem um meine Besitztümer bekümmert. Vielleicht hätte ich wohlgetan, sie mir noch länger aus dem Sinne zu schlagen, da ich bemerken muß, daß die Sorge für ihre Erhaltung so hypochondrisch macht.”

“Hören Sie mich aus”, sagte Jarno; “die Sorge geziemt dem Alter, damit die Jugend eine Zeitlang sorglos sein könne. Das Gleichgewicht in den menschlichen Handlungen kann leider nur durch Gegensätze hergestellt werden. Es ist gegenwärtig nichts weniger als rätlich, nur an einem Ort zu besitzen, nur einem Platze sein Geld anzuvertrauen, und es ist wieder schwer, an vielen Orten Aufsicht darüber zu führen; wir haben uns deswegen etwas anders ausgedacht: aus unserm alten Turm soll eine Sozietät ausgehen, die sich in alle Teile der Welt ausbreiten, in die man aus jedem Teile der Welt eintreten kann. Wir assekurieren uns untereinander unsere Existenz auf den einzigen Fall, daß eine Staatsrevolution den einen oder den andern von seinen Besitztümern völlig vertriebe. Ich gehe nun hinüber nach Amerika, um die guten Verhältnisse zu benutzen, die sich unser Freund bei seinem dortigen Aufenthalt gemacht hat. Der Abbé will nach Rußland gehn, und Sie sollen die Wahl haben, wenn Sie sich an uns anschließen wollen, ob Sie Lothario in Deutschland beistehn oder mit mir gehen wollen. Ich dächte, Sie wählten das letzte: denn eine große Reise zu tun ist für einen jungen Mann äußerst nützlich.”

Wilhelm nahm sich zusammen und antwortete: “Der Antrag ist aller Überlegung wert, denn mein Wahlspruch wird doch nächstens sein: ‚Je weiter weg, je besser.‘ Sie werden mich, hoffe ich, mit Ihrem Plane näher bekannt machen. Es kann von meiner Unbekanntschaft mit der Welt herrühren, mir scheinen aber einer solchen Verbindung sich unüberwindliche Schwierigkeiten entgegenzusetzen.”

“Davon sich die meisten nur dadurch heben werden”, versetzte Jarno, “daß unser bis jetzt nur wenig sind, redliche, gescheite und entschlossene Leute, die einen gewissen allgemeinen Sinn haben, aus dem allein der gesellige Sinn entstehen kann.”

Friedrich, der bisher nur zugehört hatte, versetzte darauf: “Und wenn ihr mir ein gutes Wort gebt, gehe ich auch mit.”

Jarno schüttelte den Kopf.

“Nun, was habt ihr an

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