Interpretation "Egmont" von Johann Wolfgang Goethe (Seite 2)

Ähnlich spricht er sich noch aus, als er bereits die Todesnachricht von Ferdinand erfahren hat: "Es glaubt der Mensch sein Leben zu leiten, sich selbst zu führen; und sein Innerstes wird unwiderstehlich nach seinem Schicksale gezogen. Laß uns darüber nicht sinnen; dieser Gedanken entschlag ich mich leicht [...]." (V, Gefängnis)

Diese geradezu trotzige Weigerung zu "sinnen" durchzieht leitmotivisch das ganze Werk. Egmont nimmt das Leben spielerisch, er lebt nur im Augenblick und will über Gründe und Folgen seiner Handlungen nicht lange nachdenken: "Wenn ihr das Leben gar zu ernsthaft nehmt, was ist denn dran? Wenn uns der Morgen nicht zu neuen Freuden weckt, am Abend uns keine Lust zu hoffen übrigbleibt: ist's wohl des An- und Ausziehens wert? Scheint mir die Sonne heut, um zu überlegen, was gestern war? und um zu raten, zu verbinden, was nicht zu erraten, nicht zu verbinden ist, das Schicksal eines kommenden Tages? Schenke mir diese Betrachtungen; wir wollen sie Schülern und Höflingen überlassen. Die mögen sinnen und aussinnen [...]." (II, Egmonts Wohnung)

Komplementär dazu steht der Charakter seines Freundes Oranien. Schon die Regentin sagt über ihn: "Oranien sinnt nichts Gutes, seine Gedanken reichen in die Ferne [...]" (I, Palast der Regentin), und Oranien sagt selbst über sich: "[...] ich stehe immer wie über einem Schachspiele und halte keinen Zug des Gegners für unbedeutend." (II, Egmonts Wohnung). So kann er sich auch der Verhaftung durch Alba entziehen; Egmont dagegen geht in die Falle.

Ein zweiter hervorstechender Charakterzug Egmonts ist seine Ehrlichkeit. Während in den Augen der Regentin Oranien eher unehrlich (heimlich) ist, alles "anzunehmen scheint, nie widerspricht" und "in tiefster Ehrfurcht, mit größter Vorsicht tut [...] was ihm beliebt" (I, Palast der Regentin), spricht Egmont "wahrer als klug und fromm", und Machiavell lobt seine Offenheit (ebenda).

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