Interpretation "Egmont" von Johann Wolfgang Goethe (Seite 4)

Indem er aufgrund dieses optimistischen Selbstvertrauens immer die vordergründigsten und harmlosesten Erklärungsmodelle wählt, die den geringsten Aufwand an 'Nachsinnen' erfordern, zeigt er sich letztlich seiner Aufgabe als Kopf des politischen Widerstandes nicht gewachsen. Hier ist auch die Funktion der Klärchen-Handlung zu sehen. Die Liebe, die er von dem einfachen Mädchen genießt, wird für ihn zu einem Fluchtraum vor seiner politischen Verantwortung:

"KLÄRCHEN: [...] Sag mir! Sage! ich begreife nicht! bist du Egmont? der Graf Egmont? der große Egmont, der so viel Aufsehn macht, von dem in den Zeitungen steht, an dem die Provinzen hängen?
EGMONT: Nein, Klärchen, das bin ich nicht.
KLÄRCHEN: Wie?
EGMONT: [...] Jener Egmont ist ein verdrießlicher, steifer, kalter Egmont, der an sich halten, bald dies bald jenes Gesicht machen muß [...], geliebt von einem Volke, das nicht weiß, was es will [...]. O laß mich schweigen, wie es dem ergeht, wie es dem zumute ist. Aber dieser, Klärchen, der ist ruhig, offen, glücklich, geliebt und gekannt von dem besten Herzen [...]."
(III, Klärchens Wohnung)

Nirgends wird deutlicher, wie unwohl sich Egmont im öffentlichen Leben fühlt, da er hier nicht ganz er selbst sein kann, jede Verstellung ihm aber Unmut bereitet. Wie verdrießlich ihm das politische Geschäft ist, wird schon bei seinem zweiten Auftritt auf der Bühne deutlich. Schon dass er zwei Stunden zu spät kommt, während sein Sekretär mit einem Stapel unerledigter Briefe auf ihn wartet, zeigt sein Widerstreben gegen diese Tätigkeit. Und seine Großzügigkeit gegenüber Delinquenten erwächst auch eher aus einer allgemeinen Unlust, sich lange bei diesen Dingen aufzuhalten:

"EGMONT: Sag an! Das Nötigste!
SEKRETÄR: Es ist alles nötig.
EGMONT: Eins nach dem anderen, nur geschwind! [...] Verschone mich damit. [...] Ich bin des Hängens müde. [...] Die mag er [...] laufenlassen. [...] Dem mag’s noch hingehen. [...] Das Geld muß herbei! er mag sehen, wie er’s zusammenbringt."
(II, Egmonts Wohnung)

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