Ungekürztes Werk "Der Abentheuerliche Simplicissimus Teutsch" von Hans Jakob Christoph von Grimmelshausen (Seite 9)

einen Vorschlag zu tun; doch hat es mir so weit gelungen, daß ich gegen Abend in Wald bin entsprungen. Wo nun aber weiters hinaus? sintemal mir die Wege und der Wald so wenig bekannt waren, als die Straß durch das gefrorne Meer, hinder Nova Zembla bis gen China hinein: die stockfinstere Nacht bedeckte mich zwar zu meiner Versicherung, jedoch bedauchte sie meinen finstern Verstand nicht finster genug; dahero verbarg ich mich in ein dickes Gesträuch, da ich sowohl das Geschrei der getrillten Bauren, als das Gesang der Nachtigallen hören konnte, welche Vögelein sie, die Bauren, von welchen man teils auch Vögel zu nennen pflegt, nicht angesehen hatten, mit ihnen Mitleiden zu tragen oder ihres Unglücks halber das liebliche Gesang einzustellen; darum legte ich mich auch ohn alle Sorge auf ein Ohr und entschlief. Als aber der Morgenstern im Osten herfürflackerte, sahe ich meines Knans Haus in voller Flamme stehen, aber niemand, der zu leschen begehrte; ich begab mich herfür, in Hoffnung, jemand von meinem Knan anzutreffen, wurde aber gleich von fünf Reutern erblickt und angeschrieen: »Junge, kom heröfer, oder schall my de Tüfel halen, ick schiedte dick, dat di de Dampff zum Hals utgaht!« Ich hingegen blieb ganz stockstill stehen und hatte das Maul offen, weil ich nicht wußte, was der Reuter wollte oder meinte, und indem ich sie so ansahe, wie ein Katz ein neu Scheurtor, sie aber wegen eines Morastes nicht zu mir kommen konnten, welches sie ohn Zweifel rechtschaffen vexierte, lösete der eine seinen Karbiner auf mich, von welchem urplötzlichen Feuer und unversehnlichem Klapf, den mir Echo durch vielfältige Verdoppelung grausamer machte, ich dermaßen erschreckt ward, weil ich dergleichen niemals gehöret oder gesehen hatte, daß ich alsobald zur Erden niederfiele; ich regete vor Angst keine Ader mehr, und wiewohl die Reuter ihres Wegs fortritten, und mich ohn Zweifel vor tot liegen ließen, so hatte ich jedoch denselbigen ganzen Tag das Herz nicht, mich aufzurichten; als mich aber die Nacht wieder ergriffe, stunde ich auf, und wanderte so lang im Wald fort, bis ich von fern einen faulen Baum schimmern sahe, welcher mir ein neue Forcht einjagte, kehrete derowegen sporenstreichs wieder um, und gieng so lang, bis ich wieder einen andern dergleichen Baum erblickte, von dem ich mich gleichfalls wieder fortmachte und auf diese Weise die Nacht mit Hin- und Widerrennen, von einem faulen Baum zum andern, vertriebe; zuletzt kam mir der liebe Tag zu Hülf, welcher den Bäumen gebotte, mich in seiner Gegenwart ohnbetrübt zu lassen, aber hiermit war mir noch nichts geholfen, dann mein Herz steckte voll Angst und Forcht, die Schenkel voll Müdigkeit, der leere Magen voll Hunger, das Maul voll Durst, das Hirn voll närrischer Einbildung, und die Augen voller Schlaf. Ich gieng dennoch fürter, wußte aber nicht wohin, je weiter ich aber gieng, je tiefer ich von den Leuten hinweg in Wald kam: Damals stunde ich aus und empfande (jedoch ganz unvermerkt) die Würkung des Unverstands und der Unwissenheit; wann ein unvernünftig Tier an meiner Stell gewesen wäre, so hätte es besser gewußt,

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