Ungekürztes Werk "Der Abentheuerliche Simplicissimus Teutsch" von Hans Jakob Christoph von Grimmelshausen (Seite 11)
traktiert.
Wasgestalten mir wieder zu mir selbst geholfen worden, weiß ich nicht, aber dieses wohl, daß der Alte meinen Kopf in seinem Schoß, und vornen meine Juppen geöffnet gehabt, als ich mich wieder erholete; da ich den Einsiedler so nahe bei mir sahe, fieng ich ein solch grausam Geschrei an, als ob er mir im selben Augenblick das Herz aus dem Leib hätte reißen wollen. Er aber sagte: »Mein Sohn, schweig, ich tue dir nichts, sei zufrieden«, etc. Je mehr er mich aber tröstete und mir liebkoste, je mehr ich schrie: »O du frißt mich! O du frißt mich! du bist der Wolf und willst mich fressen.« »Ei ja wohl nein, mein Sohn« sagte er, »sei zufrieden, ich friß dich nicht«. Dies Gefecht währete lang, bis ich mich endlich so weit ließe weisen, mit ihm in seine Hütten zu gehen; darin war die Armut selbst Hofmeisterin, der Hunger Koch, und der Mangel Küchenmeister; da wurde mein Magen mit einem Gemüs und Trunk Wassers gelabt, und mein Gemüt, so ganz verwirret war, durch des Alten tröstliche Freundlichkeit wieder aufgericht und zurechtgebracht: Derowegen ließ ich mich durch die Anreizung des süßen Schlafes leicht betören, der Natur solche Schuldigkeit abzulegen. Der Einsiedel merkte meine Notdurft, darum ließe er mir den Platz allein in seiner Hütten, weil nur einer darin liegen konnte; ohngefähr um Mitternacht erwachte ich wieder und hörete ihn folgendes Lied singen, welches ich hernach auch gelernet:
Komm Trost der Nacht, o Nachtigall,
Laß deine Stimm mit Freudenschall
Aufs lieblichste erklingen :/:
Komm, komm, und lob den Schöpfer dein,
Weil andre Vöglein schlafen sein,
Und nicht mehr mögen singen:
Laß dein
Stimmlein
Laut erschallen,
Dann vor allen
Kannst du loben
Gott im Himmel hoch dort oben.
Ob schon ist hin der Sonnenschein,
Und wir im Finstern müssen sein,
So können wir doch singen :/:
Von Gottes Güt und seiner Macht,
Weil uns kann hindern keine Nacht,
Sein Lob zu vollenbringen.
Drum dein
Stimmlein
Laß erschallen,
Dann vor allen
Kannst du loben
Gott im Himmel hoch dort oben.
Echo, der wilde Widerhall
Will sein bei diesem Freudenschall,
Und lässet sich auch hören :/:
Verweist uns alle Müdigkeit,
Der wir ergeben allezeit,
Lehrt uns den Schlaf betören.
Drum dein
Stimmlein
Laß erschallen,
Dann vor allen
Kannst du loben
Gott im Himmel hoch dort oben.
Die Sterne, so am Himmel stehn,
Lassen sich zum Lob Gottes sehn,
Und tun ihm Ehr beweisen :/:
Auch die Eul die nicht singen kan;
Zeigt doch mit ihrem Heulen an,
Daß sie Gott auch tu preisen.
Drum dein
Stimmlein
Laß erschallen,
Dann vor allen
Kannst du loben
Gott im Himmel hoch dort oben.
Nur her, mein liebstes Vögelein,
Wir wollen nicht die fäulste sein,
Und schlafend liegen bleiben :/:
Sondern bis daß die Morgenröt
Erfreuet diese Wälder öd,
Im Lob Gottes vertreiben.
Laß dein
Stimmlein
Laut erschallen,
Dann vor allen
Kannst du loben
Gott im Himmel hoch dort oben.
Unter währendem diesem Gesang bedunkte mich wahrhaftig, als wann die Nachtigall sowohl als die Eul und Echo mit eingestimmt hätten, und wann ich den Morgenstern jemals gehört, oder dessen Melodei auf meiner Sackpfeifen aufzumachen vermöcht, so wäre ich aus der Hütten gewischt, meine Karten mit einzuwerfen, weil mich diese Harmonia so lieblich zu sein bedunkte; aber ich entschlief, und erwachte nicht wieder, bis wohl in den Tag hinein, da der Einsiedel vor mir stunde, und sagte: »Uff Kleiner, ich will dir