Ungekürztes Werk "Der Abentheuerliche Simplicissimus Teutsch" von Hans Jakob Christoph von Grimmelshausen (Seite 10)

was es zu seiner Erhaltung hätte tun sollen als ich, doch war ich noch so witzig, als mich abermal die Nacht ereilte, daß ich in einen hohlen Baum kroche, mein Nachtläger darinnen zu halten.

Das 6. Kapitel

Ist kurz, und so andächtig, daß dem Simplicio darüber ohnmächtig wird.

Kaum hatte ich mich zum Schlaf akkommodieret, da hörete ich folgende Stimm: »O große Liebe, gegen uns undankbarn Menschen! Ach mein einiger Trost! mein Hoffnung, mein Reichtum, mein Gott!« und so dergleichen mehr, das ich nicht alles merken noch verstehen können.

Dieses waren wohl Wort, die einen Christenmenschen, der sich in einem solchen Stand, wie ich mich dazumal befunden, billich aufmuntern, trösten und erfreuen hätten sollen. Aber, o Einfalt und Unwissenheit! es waren mir nur Böhmische Dörfer, und alles ein ganz unverständliche Sprach, aus deren ich nicht allein nichts fassen konnte, sondern auch ein solche, vor deren Seltsamkeit ich mich entsetzte; da ich aber hörete, daß dessen, der sie redete, Hunger und Durst gestillt werden sollte, riete mir mein ohnerträglicher Hunger, mich auch zu Gast zu laden, derowegen faßte ich das Herz, wieder aus meinem hohlen Baum zu gehen und mich der gehörten Stimm zu nähern; da wurde ich eines großen Manns gewahr, in langen schwarzgrauen Haaren, die ihm ganz verworren auf den Achseln herumlagen, er hatte einen wilden Bart, fast formiert wie ein Schweizerkäs, sein Angesicht war zwar bleichgelb und mager, aber doch ziemlich lieblich, und sein langer Rock mit mehr als 1 000 Stückern von allerhand Tuch überstickt und aufeinander gesetzt, um Hals und Leib hatte er ein schwere eiserne Ketten gewunden wie S. Wilhelmus, und sahe sonst in meinen Augen so scheußlich und förchterlich aus, daß ich anfienge zu zittern, wie ein nasser Hund; was aber meine Angst mehret, war, daß er ein Kruzifix, ungefähr 6 Schuh lang, an seine Brust druckte, und weil ich ihn nicht kennete, konnte ich nichts anders ersinnen, als dieser alte Greis müßte ohn Zweifel der Wolf sein, davon mir mein Knan kurz zuvor gesagt hatte: In solcher Angst wischte ich mit meiner Sackpfeife herfür, welche ich als meinen einigen Schatz noch vor den Reutern salviert hatte; ich blies zu, stimmte an, und ließe mich gewaltig hören, diesen greulichen Wolf zu vertreiben, über welcher gählingen und ohngewöhnlichen Musik, an einem so wilden Ort, der Einsiedel anfänglich nicht wenig stutzte, ohn Zweifel vermeinende, es seie etwan ein teuflisch Gespenst hinkommen, ihne, wie etwan dem großen Antonio widerfahren, zu tribulieren, und seine Andacht zu zerstören. Sobald er sich aber wieder erholete; spottet er meiner, als seines Versuchers im hohlen Baum, wo hinein ich mich wieder retiriert hatte, ja er war so getrost, daß er gegen mir gieng, den Feind des menschlichen Geschlechts genugsam auszuhöhnen. »Ha«, sagte er, »du bist ein Gesell dazu, die Heiligen ohne göttliche Verhängnus«, etc. Mehrers habe ich nicht verstanden, dann seine Näherung ein solch Grausen und Schrecken in mir erregte, daß ich des Amts meiner Sinne beraubt wurde, und dorthin in Ohnmacht niedersank.

Das 7. Kapitel

Simplicius wird in einer armen Herberg freundlich

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