Ungekürztes Werk "Das Wirtshaus im Spessart" von Wilhelm Hauff (Seite 5)

gerne, und mein Meister in Würzburg mußte mir die Bücher ordentlich verbieten, daß ich nicht zuviel Geschichten las und die Arbeit darüber vernachlässigte. Drum gib nur etwas Schönes preis, Zirkelschmied; ich weiß, du könntest erzählen von jetzt an, bis es Tag wird, ehe dein Vorrat ausginge.«

Der Zirkelschmied trank, um sich zu seinem Vortrag zu stärken, und hob alsdann an.

Die Sage vom Hirschgulden

In Oberschwaben stehen noch heutzutage die Mauern einer Burg, die einst die stattlichste der Gegend war: Hohenzollern. Sie erhebt sich auf einem runden, steilen Berg, und von ihrer schroffen Höhe sieht man weit und frei ins Land. So weit und noch viel weiter, als man diese Burg im Land umher sehen kann, ward das tapfere Geschlecht der Zollern gefürchtet, und ihren Namen kannte und ehrte man in allen deutschen Landen.

Nun lebte vor mehreren hundert Jahren – ich glaube, das Schießpulver war kaum erfunden – auf dieser Feste ein Zollern, der von Natur ein sonderbarer Mensch war. Man konnte nicht sagen, daß er seine Untertanen hart gedrückt oder mit seinen Nachbarn in Fehde gelebt hätte, aber dennoch traute ihm niemand über den Weg ob seinem finsteren Auge, seiner krausen Stirn und seinem einsilbigen, mürrischen Wesen. Es gab wenige Leute außer dem Schloßgesinde, die ihn je hatten ordentlich sprechen hören wie andere Menschen; denn wenn er durch das Tal ritt, einer ihm begegnete und schnell die Mütze abnahm, sich hinstellte und sagte: »Guten Abend, Herr Graf; heute ist es schön Wetter«, so antwortete er: »Dummes Zeug!« oder: »Weiß schon!« Hatte aber einer etwas nicht recht gemacht für ihn oder seine Rosse; begegnete ihm ein Bauer im Hohlweg mit dem Karren, daß er auf seinem Rappen nicht schnell genug vorüberkommen konnte, so entlud sich sein Ingrimm in einem Donner von Flüchen; doch hat man nie gehört, daß er bei solchen Gelegenheiten einen Bauern geschlagen hätte. In der Gegend aber hieß man ihn das »Böse Wetter von Zollern«.

Das Böse Wetter von Zollern hatte eine Frau, die der Widerpart von ihm und so mild und freundlich war wie ein Maitag. Oft hat sie Leute, die ihr Eheherr durch harte Reden beleidigt hatte, durch freundliche Worte und ihre gütigen Blicke wieder mit ihm ausgesöhnt; den Armen aber tat sie Gutes, wo sie konnte, und ließ es sich nicht verdrießen, sogar im heißen Sommer oder im schrecklichsten Schneegestöber den steilen Berg herabzugehen, um arme Leute oder kranke Kinder zu besuchen. Begegnete ihr auf solchen Wegen der Graf, so sagte er mürrisch: »Weiß schon, dummes Zeug«, und ritt weiter.

Manch andere Frau hätte dieses mürrische Wesen abgeschreckt oder eingeschüchtert; die eine hätte gedacht: Was gehen mich die armen Leute an, wenn mein Herr sie für dummes Zeug hält? Die andere hätte vielleicht aus Stolz oder Unmut die Liebe gegen einen so mürrischen Gemahl erkalten lassen; doch nicht also Frau Hedwig von Zollern; sie liebte ihn nach wie vor, suchte mit ihrer schönen weißen Hand die Falten von seiner braunen Stirn zu streichen und liebte und ehrte ihn.

Als aber nach Jahr und Tag der Himmel ein junges Gräflein

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