Ungekürztes Werk "Das Wirtshaus im Spessart" von Wilhelm Hauff (Seite 7)

einer Kinderstimme hinter sich seinen Namen rufen, und als er sich flugs umwandte, siehe – da saß ein altes Weib unweit der Straße unter einem Baum und wiegte den Kleinen auf ihren Knien.

»Wie kommst du zu dem Knaben, alte Hexe?« schrie der Graf in großem Zorn. »Sogleich bringe ihn heran zu mir!«

»Nicht so rasch, nicht so rasch, Euer Gnaden«, lachte die alte, häßliche Frau, »könntet sonst auch ein Unglück nehmen auf Eurem stolzen Roß! Wie ich zu dem Junkerlein kam, fragt Ihr? Nun, sein Pferd ging durch, und er hing nur noch mit einem Füßchen angebunden, und das Haar streifte fast am Boden, da habe ich ihn aufgefangen in meiner Schürze.«

»Weiß schon!« rief der Herr von Zollern unmutig. »Gib ihn jetzt her! Ich kann nicht wohl absteigen; das Roß ist wild und könnte ihn schlagen.«

»Schenkt mir einen Hirschgulden!« erwiderte die Frau, demütig bittend.

»Dummes Zeug!« schrie der Graf und warf ihr einige Pfennige unter den Baum.

»Nein – einen Hirschgulden könnte ich gut brauchen«, fuhr sie fort.

»Was Hirschgulden! Bist selber keinen Hirschgulden wert!« eiferte der Graf. »Schnell das Kind her, oder ich hetze die Hunde auf dich!«

»So? Bin ich keinen Hirschgulden wert?« antwortete jene mit höhnischem Lächeln. »Na, man wird ja sehen, was von Eurem Erbe einen Hirschgulden wert ist; aber da, die Pfennige behaltet für Euch!« Indem sie dies sagte, warf sie die drei Kupferstücke dem Grafen zu, und so gut konnte die Alte werfen, daß alle drei ganz gerade in den kleinen Lederbeutel fielen, den der Graf noch in der Hand hielt.

Der Graf wußte einige Minuten vor Staunen über diese wunderbare Geschicklichkeit kein Wort hervorzubringen; endlich aber löste sich sein Staunen in Wut auf. Er faßte seine Büchse, spannte den Hahn und zielte dann auf die Alte.

Diese herzte und küßte ganz ruhig den kleinen Grafen, indem sie ihn so vor sich hinhielt, daß ihn die Kugel zuerst hätte treffen müssen. »Bist ein guter, frommer Junge«, sprach sie. »Bleib nur so, und es wird dir nicht fehlen.« Dann ließ sie ihn los, dräute dem Grafen mit dem Finger. »Zollern, Zollern, den Hirschgulden bleibt Ihr mir noch schuldig!« rief sie und schlich, unbekümmert um die Schimpfworte des Grafen, an einem Buchsbaumstäbchen in den Wald.

Konrad, der Knappe, aber stieg zitternd von seinem Roß, hob das Herrlein in den Sattel, schwang sich hinter ihm auf und ritt seinem Gebieter nach, den Schloßberg hinauf.

Es war dies das erste und letzte Mal gewesen, daß das Böse Wetter von Zollern sein Söhnlein mitnahm zum Spazierenreiten; denn er hielt ihn, weil er geweint und geschrien hatte, als die Pferde im Trab gingen, für einen weichlichen Jungen, aus dem nicht viel Gutes zu machen sei, sah ihn nur mit Unlust an, und sooft der Knabe, der seinen Vater herzlich liebte, schmeichelnd und freundlich zu seinen Knien kam, winkte er ihm fortzugehen und rief: »Weiß schon! Dummes Zeug!«

Frau Hedwig hatte alle bösen Launen ihres Gemahls gerne getragen, aber dieses unfreundliche Benehmen gegen das unschuldige Kind kränkte sie tief; sie erkrankte mehrere Male aus Schrecken, wenn der finstere Graf den Kleinen

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