Ungekürztes Werk "Das Wirtshaus im Spessart" von Wilhelm Hauff (Seite 10)

krank vor Sehnsucht nach Hohenzollern geworden.

Die Gräfin und die Zwillingsbrüder, die jetzt achtzehn Jahre alt waren, saßen eines Abends auf dem Söller und schauten den Schloßberg hinab; da gewahrten sie einen stattlichen Ritter, der zu Pferde heraufritt und dem eine prachtvolle Sänfte, von zwei Maultieren getragen, und mehrere Knechte folgten. Sie rieten lange hin und her, wer es wohl sein möchte, da rief endlich der Kleine Schalk: »Ei, das ist niemand anders als unser Herr Bruder von Hirschberg.«

»Der Dumme Kuno?« sprach die Frau Gräfin verwundert. »Ei, der wird uns die Ehre antun, uns zu sich einzuladen, und die schöne Sänfte hat er für mich mitgebracht, um mich abzuholen nach Hirschberg; nein, soviel Güte und Lebensart hätte ich meinem Herrn Sohn, dem Dummen Kuno, nicht zugetraut. Eine Höflichkeit ist der andern wert; laßt uns hinabsteigen an das Schloßtor, ihn zu empfangen. Macht auch freundliche Gesichter; vielleicht schenkt er uns in Hirschberg etwas, dir ein Pferd und dir einen Harnisch, und den Schmuck seiner Mutter hätte ich schon lang gerne gehabt.«

»Geschenkt mag ich nichts von dem Dummen Kuno«, antwortete Wolf, »und ein gutes Gesicht mach' ich ihm auch nicht. Aber unserm seligen Herrn Vater könnte er meinetwegen bald folgen, dann würden wir Hirschberg erben und alles, und Euch, Frau Mutter, wollten wir den Schmuck um billigen Preis ablassen.«

»So, du Range?« eiferte die Mutter. »Abkaufen soll ich euch den Schmuck? Ist das der Dank dafür, daß ich euch Zollern verschafft habe? Kleiner Schalk, nicht wahr, ich soll den Schmuck umsonst haben?«

»Umsonst ist der Tod, Frau Mutter!« erwiderte der Sohn lachend. »Und wenn es wahr ist, daß der Schmuck soviel wert ist als manches Schloß, so werden wir wohl nicht die Toren sein, ihn Euch um den Hals zu hängen. Sobald Kuno die Augen schließt, reiten wir hinunter, teilen ab, und meinen Part am Schmuck verkaufe ich. Gebt Ihr dann mehr als der Jude, Frau Mutter, so sollt Ihr ihn haben.«

Sie waren unter diesem Gespräch bis unter das Schloßtor gekommen, und mit Mühe zwang sich die Frau Gräfin, ihren Grimm über den Schmuck zu unterdrücken, denn soeben ritt Graf Kuno über die Zugbrücke. Als er seiner Stiefmutter und seiner Brüder ansichtig wurde, hielt er sein Pferd an, stieg ab und grüßte sie höflich, denn obgleich sie ihm viel Leids angetan, bedachte er doch, daß es seine Brüder seien und daß diese böse Frau sein Vater geliebt hatte.

»Ei, das ist ja schön, daß der Herr Sohn uns auch besucht«, sagte die Frau Gräfin mit süßer Stimme und huldreichem Lächeln. »Wie geht es denn auf Hirschberg? Kann man sich dort eingewöhnen? Und gar eine Sänfte hat man sich angeschafft? Ei, und wie prächtig, es dürfte sich keine Kaiserin daran schämen; nun wird wohl auch die Hausfrau nicht mehr lange fehlen, daß sie darin im Lande umherreist.«

»Habe bis jetzt noch nicht daran gedacht, gnädige Frau Mutter«, erwiderte Kuno; »will mir deswegen andere Gesellschaft zur Unterhaltung ins Haus nehmen und bin deswegen mit der Sänfte hierhergereist.«

»Ei, Ihr seid gar gütig und besorgt«, unterbrach ihn die Dame, indem sie

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