Ungekürztes Werk "Der Scheich von Alexandria und seine Sklaven" von Wilhelm Hauff (Seite 50)

möge, der Sohn des Scheichs war ein schöner Knabe und muß jetzt auch groß sein und wohlgebildet. Soll er also das Gold sparen und einen wohlfeilen, verwachsenen Sklaven hingeben in der Hoffnung, seinen Sohn dafür zu bekommen? Wer etwas tun will in der Welt, der tue es recht oder – lieber gar nicht!«

»Und seht, des Scheichs Augen sind immer auf diesen Sklaven geheftet; ich bemerkte es schon den ganzen Abend. Während der Erzählungen streifte oft sein Blick dorthin und verweilte auf den edlen Zügen des Freigelassenen. Es muß ihn doch ein wenig schmerzen, ihn freizugeben.«

»Denke nicht also von dem Mann! Meinst du, tausend Tomans schmerzen ihn, der jeden Tag das Dreifache einnimmt?« sagte der alte Mann. »Aber wenn sein Blick mit Kummer auf dem Jüngling weilt, denkt er wohl an seinen Sohn, der in der Fremde schmachtet; er denkt wohl, ob dort vielleicht ein barmherziger Mann wohne, der ihn loskaufe und zurückschicke zum Vater.«

»Ihr mögt recht haben«, erwiderte der junge Kaufmann, »und ich schäme mich, daß ich von den Leuten nur immer das Gemeinere und Unedle denke, während Ihr lieber eine schöne Gesinnung unterlegt. Und doch sind die Menschen in der Regel schlecht; habt Ihr dies nicht auch gefunden, Alter?«

»Gerade weil ich dies nicht gefunden habe, denke ich gerne gut von den Menschen«, antwortete dieser. »Es ging mir gerade wie Euch. Ich lebte so in den Tag hinein, hörte viel Schlimmes von den Menschen, mußte selbst an mir viel Schlechtes erfahren und fing an, die Menschen alle für schlechte Geschöpfe zu halten. Doch da fiel mir ein, daß Allah, der so gerecht ist als weise, nicht dulden könnte, daß ein so verworfenes Geschlecht auf dieser schönen Erde hause. Ich dachte nach über das, was ich gesehen, was ich erlebt hatte, und siehe – ich hatte nur das Böse gezählt und das Gute vergessen. Ich hatte nicht achtgegeben, wenn einer eine Handlung der Barmherzigkeit übte; ich hatte es natürlich gefunden, wenn ganze Familien tugendhaft lebten und gerecht waren. Sooft ich aber Böses, Schlechtes hörte, hatte ich es wohl angemerkt in meinem Gedächtnis.

Da fing ich an, mit ganz anderen Augen um mich zu schauen. Es freute mich, wenn ich das Gute nicht so sparsam keimen sah, wie ich anfangs dachte; ich bemerkte das Böse weniger, oder es fiel mir nicht sosehr auf, und so lernte ich die Menschen lieben, lernte Gutes von ihnen denken und habe mich in langen Jahren seltener geirrt, wenn ich von einem Gutes sprach, als wenn ich ihn für geizig oder gemein oder gottlos hielt.«

Der Alte wurde bei diesen Worten von dem Aufseher der Sklaven unterbrochen, der zu ihm trat und sprach: »Mein Herr, der Scheich von Alexandria, Ali Banu, hat Euch mit Wohlgefallen in seinem Saale bemerkt und ladet Euch ein, zu ihm zu treten und Euch neben ihn zu setzen.«

Die jungen Leute waren nicht wenig erstaunt über die Ehre, die dem Alten widerfahren sollte, den sie für einen Bettler gehalten hatten; und als dieser hingegangen war, sich zu dem Scheich zu setzen, hielten sie den Sklavenaufseher

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