Ungekürztes Werk "Atta Troll. Ein Sommernachtstraum" von Heinrich Heine (Seite 17)

Caput XV

Riesenhafte Felsenblöcke,

Mißgestaltet und verzerrt,

Schaun mich an gleich Ungetümen,

Die versteinert, aus der Urzeit.

Seltsam! Graue Wolken schweben

Drüber hin, wie Doppelgänger;

Sind ein blödes Konterfei

Jener wilden Steinfiguren.

In der Ferne rast der Sturzbach,

Und der Wind heult in den Föhren;

Ein Geräusch, das unerbittlich

Und fatal wie die Verzweiflung.

Schauerliche Einsamkeiten!

Schwarze Dohlenscharen sitzen

Auf verwittert morschen Tannen,

Flattern mit den lahmen Flügeln.

Neben mir geht der Laskaro,

Blaß und schweigsam, und ich selber

Mag wohl wie der Wahnsinn aussehn,

Den der leidge Tod begleitet.

Eine häßlich wüste Gegend.

Liegt darauf ein Fluch? Ich glaube

Blut zu sehen an den Wurzeln

Jenes Baums, der ganz verkrüppelt.

Er beschattet eine Hütte,

Die verschämt sich in der Erde

Halb versteckt; wie furchtsam flehend

Schaut dich an das arme Strohdach.

Die Bewohner dieser Hütte

Sind Cagoten, Überbleibsel

Eines Stamms, der tief im Dunkeln

Sein zertretnes Dasein fristet.

In den Herzen der Baskesen

Würmelt heute noch der Abscheu

Vor Cagoten. Düstres Erbteil

Aus der düstern Glaubenszeit.

In dem Dome zu Bagnères

Lauscht ein enges Gitterpförtchen;

Dieses, sagte mir der Küster,

War die Türe der Cagoten.

Streng versagt war ihnen ehmals

Jeder andre Kircheneingang,

Und sie kamen wie verstohlen

In das Gotteshaus geschlichen.

Dort auf einem niedern Schemel

Saß der Cagot, einsam betend

Und gesondert, wie verpestet,

Von der übrigen Gemeinde. –

Aber die geweihten Kerzen

Des Jahrhunderts flackern lustig,

Und das Licht verscheucht die bösen

Mittelalterlichen Schatten! –

Stehn blieb draußen der Laskaro,

Während ich in des Cagoten

Niedre Hütte trat. Ich reichte

Freundlich meine Hand dem Bruder.

Und ich küßte auch sein Kind,

Das, am Busen seines Weibes

Angeklammert, gierig saugte;

Einer kranken Spinne glich es.

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