Ungekürztes Werk "Atta Troll. Ein Sommernachtstraum" von Heinrich Heine (Seite 19)

Caput XVII

Ist ein Tal gleich einer Gasse,

Geisterhohlweg ist der Name;

Schroffe Felsen ragen schwindlicht

Hoch empor zu jeder Seite.

Dort, am schaurig steilsten Abhang,

Lugt ins Tal, wie eine Warte,

Der Uraka keckes Häuslein;

Dorthin folgt ich dem Laskaro.

Mit der Mutter hielt er Rat,

In geheimster Zeichensprache,

Wie der Atta Troll gelockt

Und getötet werden könne.

Denn wir hatten seine Fährte

Gut erspürt. Entrinnen konnt er

Uns nicht mehr. Gezählt sind deine

Lebenstage, Atta Troll!

Ob die Alte, die Uraka,

Wirklich eine ausgezeichnet

Große Hexe, wie die Leute

In den Pyrenän behaupten,

Will ich nimmermehr entscheiden.

So viel weiß ich, daß ihr Äußres

Sehr verdächtig. Sehr verdächtig

Triefen ihre roten Augen.

Bös und schielend ist der Blick;

Und es heißt, den armen Kühen,

Die sie anblickt, trockne plötzlich

In der Euter alle Milch.

Man versichert gar, sie habe,

Streichelnd mit den dürren Händen,

Manches fette Schwein getötet

Und sogar die stärksten Ochsen.

Solcherlei Verbrechens wurde

Sie zuweilen auch verklagt

Bei dem Friedensrichter. Aber

Dieser war ein Voltairianer,

Ein modernes, flaches Weltkind,

Ohne Tiefsinn, ohne Glauben,

Und die Kläger wurden skeptisch,

Fast verhöhnend, abgewiesen.

Offiziell treibt die Uraka

Ein Geschäft, das sehr honett;

Denn sie handelt mit Bergkräutern

Und mit ausgestopften Vögeln.

Voll von solchen Naturalien

War die Hütte. Schrecklich rochen

Bilsenkraut und Kuckucksblumen,

Pissewurz und Totenflieder.

Eine Kollektion von Geiern

War vortrefflich aufgestellt,

Mit den ausgestreckten Flügeln

Und den ungeheuren Schnäbeln.

Wars der Duft der tollen Pflanzen,

Der betäubend mir zu Kopf stieg?

Wundersam ward mir zu Mute

Bei dem Anblick dieser Vögel.

Sind vielleicht verwünschte Menschen,

Die durch Zauberkunst in diesem

Unglückselgen, ausgestopften

Vogelzustand sich befinden.

Sehn mich an so starr und leidend,

Und zugleich so ungeduldig;

Manchmal scheinen sie auch scheu

Nach der Hexe hinzuschielen.

Diese aber, die Uraka,

Kauert neben ihrem Sohne,

Dem Laskaro, am Kamine.

Kochen Blei und gießen Kugeln.

Gießen jene Schicksalskugel,

Die den Atta Troll getötet.

Wie die Flammen hastig zuckten

Über das Gesicht der Hexe!

Sie bewegt die dünnen Lippen

Unaufhörlich, aber lautlos.

Murmelt sie den Drudensegen,

Daß der Kugelguß gedeihe?

Manchmal kichert sie und nickt sie

Ihrem Sohne. Aber dieser

Fördert sein Geschäft so ernsthaft

Und so schweigsam wie der Tod. –

Schwül bedrückt von Schauernissen,

Ging ich, freie Luft zu schöpfen,

An das Fenster, und ich schaute

Dort hinab ins weite Tal.

Was ich sah zu jener Stunde –

Zwischen Mitternacht und Eins –

Werd ich treu und hübsch berichten

In den folgenden Kapiteln.

Seiten