Ungekürztes Werk "Die Elixiere des Teufels" von E. T. A. Hoffmann (Seite 169)
Abendrots durch den düstern farblosen Nebel, aber in ihm erhob sich eine hohe Gestalt. – Es war Christus, aus jeder seiner Wunden perlte ein Tropfen Bluts, und wiedergegeben war der Erde das Rot, und der Menschen Jammer wurde ein jauchzender Hymnus, denn das Rot war die Gnade des Herrn, die über ihnen aufgegangen! Nur Medardus' Blut floß noch farblos aus der Wunde, und er flehte inbrünstig: »Soll auf der ganzen weiten Erde ich, ich allein nur trostlos der ewigen Qual der Verdammnis preisgegeben bleiben?« Da regte es sich in den Büschen – eine Rose, von himmlischer Glut hochgefärbt, streckte ihr Haupt empor und schaute den Medardus an mit englisch mildem Lächeln, und süßer Duft umfing ihn, und der Duft war das wunderbare Leuchten des reinsten Frühlingsäthers. »Nicht das Feuer hat gesiegt, kein Kampf zwischen Licht und Feuer. – Feuer ist das Wort, das den Sündigen erleuchtet.« Es war, als hätte die Rose diese Worte gesprochen, aber die Rose war ein holdes Frauenbild: in weißem Gewande, Rosen in das dunkle Haar geflochten, trat sie mir entgegen. – »Aurelie«, schrie ich auf, aus dem Traume erwachend; ein wunderbarer Rosengeruch erfüllte die Zelle, und für Täuschung meiner aufgeregten Sinne mußt' ich es wohl halten, als ich deutlich Aureliens Gestalt wahrzunehmen glaubte, wie sie mich mit ernsten Blicken anschaute und in den Strahlen des Morgens, die in die Zelle fielen, zu verduften schien. –
Nun erkannte ich die Versuchung des Teufels und meine sündige Schwachheit. Ich eilte herab und betete inbrünstig am Altar der heiligen Rosalia. – Keine Kasteiung – keine Buße im Sinne des Klosters; aber als die Mittagssonne senkrecht ihre Strahlen herabschoß, war ich schon mehrere Stunden von Rom entfernt. – Nicht nur Cyrillus' Mahnung, sondern eine innere unwiderstehliche Sehnsucht nach der Heimat trieb mich fort auf demselben Pfade, den ich bis nach Rom durchwandert. Ohne es zu wollen, hatte ich, indem ich meinem Beruf entfliehen wollte, den geradesten Weg nach dem mir von dem Prior Leonardus bestimmten Ziel genommen. –
Ich vermied die Residenz des Fürsten, nicht weil ich fürchtete, erkannt zu werden und aufs neue dem Kriminalgericht in die Hände zu fallen, aber wie konnte ich ohne herzzerreißende Erinnerung den Ort betreten, wo ich in frevelnder Verkehrtheit nach einem irdischen Glück zu trachten mich vermaß, dem ich Gottgeweihter ja entsagt hatte – ach, wo ich, dem ewigen reinen Geist der Liebe abgewandt, für des Lebens höchsten Lichtpunkt, in dem das Sinnliche und Übersinnliche in einer Flamme auflodert, den Moment der Befriedigung des irdischen Triebes nahm; wo mir die rege Fülle des Lebens, genährt von seinem eigenen üppigen Reichtum, als das Prinzip erschien, das sich kräftig auflehnen müsse gegen jenes Aufstreben nach dem Himmlischen, das ich nur unnatürliche Selbstverleugnung nennen konnte! – Aber noch mehr! – Tief im Innern fühlte ich trotz der Erkräftigung, die mir durch unsträflichen Wandel, durch anhaltende schwere Buße werden sollte, die Ohnmacht, einen Kampf glorreich zu bestehen, zu dem mich jene dunkle, grauenvolle Macht, deren Einwirkung ich nur zu oft, zu schreckbar gefühlt, unversehens aufreizen könne. – Aurelien