Ungekürztes Werk "Der grüne Heinrich" von Gottfried Keller (Seite 521)

getötet hätte! Übrigens vermute ich, daß bei dieser Gelegenheit der letzte Rest von Willkürlichkeit und Narrheit aus mir schwindet.«

Noch am gleichen Tage wurde er durch eine gerichtliche Behörde, die schon lange nach ihm gefahndet, ausfindig gemacht und hinbeschieden. Als er dort war und sich als rechtmäßiges Ich ausgewiesen hatte, ward ihm eröffnet, wie jenes tote Trödelmännchen ihn zu seinem Erben eingesetzt habe. Verwundert hörte Heinrich die Vorlesung des Testamentes an, nach welchem der fahrende Kram des Verstorbenen gerichtlich verkauft und erst dann dem eingesetzten Erben der letzte Wille bekanntgemacht und die vorhandene Barschaft eingehändigt werden mußte. Man hatte aber in einem alten silbernen Becher von mächtiger Größe, der mit einem Deckel versehen war, einen ganzen Schatz in Gold und öffentlichen Papieren vorgefunden, was ein ordentliches bürgerliches Vermögen ausmachte und kein Mensch hinter dem Alten gesucht hätte. Dieser sonderbare Becher stand jetzt auf dem grünen Tische des Gerichtszimmers, wurde umgestürzt und der Inhalt dem Erben vorgezählt. Außerdem händigte man ihm einen Brief des Verstorbenen ein, welcher, mit kaum leserlicher Schrift auf grobes Papier geschrieben, folgendermaßen lautete:

»Du hast mich böslich verlassen, mein Söhnchen, und bist nie wieder zu mir gekommen, doch kenn ich Dich wohl und vermache Dir mein bißchen Erspartes, weil ich keine Blutsverwandten habe. Hoffentlich wirst Du dasselbige richtig erhalten; es soll das Löhnchen sein für die Fahnenstecken, so Du angemalet; denn dazumal, wie ich Dich bei dieser Arbeit sahe, habe ich es mir vorgenommen, und wünsche ich somit, daß es nicht zu spät komme, um Dir einen Beitrag und Anlaß zu geben, wie Du Dich im Kleinen als einen treulichen Verwalter gezeigt hast, es auch in beträchtlicheren Dingen zu sein; Du kannst es wohl, wenn Du es willst und nicht eigensinnig bist. Das Geldchen ist nicht ohne alle Schlauheit, aber je dennoch auf ganz ehrlichem Wege erworben und ist niemand Unrecht geschehen, so daß Du den Segen mit Anstand verwenden magst, wie Dir gut dünkt. Für den Fall, daß du die Künstlerei etwa verabschiedet hättest, habe ich verordnet, daß mein Trödel verkauft wird, damit Du Deine alten Sachen nicht wieder zu Gesicht bekommst. Dies bedünkte mich nämlich zweckmäßig und gut, und hiermit bin ich nun froh, mein Erspartes, was mir viel Spaß machte, da die Leute so verschlafen und spaßhaft sind, noch an den Mann gebracht zu haben, und wenn ich hierdurch mir das freundschaftliche Gedächtnis eines braven und geschickten Menschen erkauft habe, der Gott weiß in welcher Himmelsgegend lustig in die zukünftige Zeit hineinlebet, so habe ich noch ein gutes Geschäft gemacht und meinen Nutzen erreicht, und hiermit lebe wohl, mein Männchen.«

Nachdem den gerichtlichen Anstalten Genüge geschehen, zog Heinrich ab mit seinem Brief und Becher; in den Gängen des weitläufigen Gerichtshauses, wo eine Menge bekümmerter oder erboster Streitführender auf und niederging oder auf Bänken saß, Verklagte und Ankläger, Schuldner und Gläubiger, stellte er einen armen Kerl an, der sich melancholisch da umhertrieb, und gab ihm den schweren Becher zu tragen. Wie er durch die belebte Stadt vor dem Träger hereilte und oft durch mehrere Menschen von ihm getrennt

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