Ungekürztes Werk "Der grüne Heinrich" von Gottfried Keller (Seite 522)

war, lüftete dieser neugierig den Deckel und guckte, was darinnen wäre. Als er das Gold sah, beschloß er, mit dem Schatz zu entwischen, da seine armen verhungerten Gedanken nicht weiter gingen als die eines Hundes, der einen Braten sieht. Er wollte nur warten, bis Heinrich ein oder zweimal sich nach ihm umgesehen, wo er dann ein vergnügtes und biederes Gesicht machen wollte, rüstig einherschreitend, jedoch unmittelbar nach dem zweiten oder dritten Umsehen wollte er auf die Seite springen und sich im Wirrsal verlieren, da er dann auf mehrere Minuten sicher war. Da sich aber Heinrich gar nicht nach ihm umsah, und er immer darauf wartete, so wurde er an seiner Tat seltsam verhindert, immer nach dem Vorgänger hinstarrend, und er geriet in einen wunderlichen Bann, daß er nichts unternehmen konnte und der Weg zurückgelegt war, eh er das Mindeste ausgerichtet; denn plötzlich blieb Heinrich unter der Tür des Gasthofes stehen, wandte sich um und nahm ihm den Becher ab, indem er ihm eine Goldmünze aus demselben gab.

»Nun habe ich ja Geld wie ein Kornhändler!« sagte Heinrich zu dem Grafen, der seiner harrte, setzte den Sparbecher des Alten vor ihn auf den Tisch, erzählte ihm die Geschichte und zeigte ihm auch den Brief.

»Seh einer an!« sagte der Graf, »ich hielt die alte Zipfelkappe immer für einen Kauz; daß er aber solche Ideen hinter den Ohren hätte, sah ich ihm doch nicht an!«

»Es ist aber doch eine sonderbare Sache«, erwiderte Heinrich, »ein solches gefundenes Gut zu haben und zu tun, als ob es einem von Recht- und Verdiensteswegen gehörte!«

»Gefunden!« sagte der Graf »wie kommen Sie nur dazu, sich wieder so zu zieren? Sie sind ein wesentlicher Mensch, und aus Ihrem Wesen heraus haben Sie die Stängelchen bemalt oder die Spirallinie gezogen, wie Sie sich ausdrücken. Hundert andere hätte gerade das nicht getan und nicht auf die Art getan wie Sie, und dies hat der Alte sehr richtig bemerkt, so daß Ihr eigenes Wesen das Glück, wie wir es immerhin nennen wollen, anzog und bezwang. Glück aber ist nicht unanständig, Glück braucht jeder Geschäftsmann, auch der, welcher sein gutes Menschenwesen in den Verkehr setzt! Aber nun machen Sie, daß Sie fortkommen, sonst fangen Sie mir wieder an zu spintisieren und sich zu zieren! Diesen Becher, der ein altes tüchtiges Stück Gerät ist, geben Sie mir mit zum Andenken! Vorher aber wollen wir einen guten Abschied daraus trinken und auch den Alten leben lassen!«

Sie ließen ein paar Flaschen starken Weines kommen; Heinrich warf den Inhalt des Gefäßes heraus und schwenkte das Gefäß aus, der Graf trocknete es mit frohem Sinn und einem frischen Handtuch sorgfältig ab, und nun gossen sie die erste Flasche in den Becher und tranken denselben zum Andenken an den toten Alten.

Beim zweiten Becher aber sagte der Graf: »Nun wollen wir auch Brüderschaft trinken und uns fortan mit Du anreden, denn wir wollen uns getreu bleiben und gute Freunde sein!«

Heinrich wurde ganz rot und sah tief in den Becher hinein, ohne es zu wagen, das edle Anerbieten seines Freundes anzunehmen noch

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