Ungekürztes Werk "Der grüne Heinrich" von Gottfried Keller (Seite 524)

lassen, wieder in seiner Brust saß, und er mußte nun fürchten, daß dies nie wieder wegginge, ohne daß er etwas dazu tun konnte.

Und zwar war es nun diesmal so, da er sonst ganz gefaßt und ruhig war, daß es ihm das Herz zusammenschnürte, ohne daß er besonders an sie dachte, und wenn er ganz beschäftigt mit anderen Dingen war, so wartete der verborgene Herzdrücker und harrte freundschaftlich aus, bis Heinrich sich an die Ursache erinnerte und über sie seufzte.

Um dieser Dinge willen war er froh, einen mäßigen Umweg zu machen, um sich nur erst ein wenig zurechtzufinden, da ihm nun das Wiedersehen der Mutter wichtiger war, als wenn er vor eine Königin hätte treten müssen und er doch mit Ruhe und Unbefangenheit ankommen wollte.

So gelangte er an einem schönen Junimorgen in die alte schöne Stadt Basel und sah den Rhein wieder fließen, vorüber an dem alten Münster. Schon alle Straßen, die nach der Stadt führten, waren mit Tausenden von Fuhrwerken und Wagen bedeckt, welche eine unzählige Menschenmenge aus allen Gauen sowie aus dem Französischen und Deutschen nach Basel trugen; die Stadt selbst aber war ganz mit Grün bedeckt und mit rot und weißen Tüchern, Flaggen und Fahnen, die von allen Türmen wehten. Denn es wurde heute die vierhundertjährige Jubelfeier der Schlacht bei St. Jakob an der Birs begangen, wo tausend Eidgenossen zehntausend Feinde totschlugen und deren vierzigtausend von den Landesgrenzen abhielten durch den eigenen Opfertod, während im Schoße des Vaterlandes der Bürgerkrieg wütete. Am gleichen Tage ward auch das große eidgenössische Schützenfest eröffnet, welches alle zwei Jahre wiederkehrt und dazumal in Basel den höchsten bisherigen Glanz und Gehalt erreichte, da es gegenüber der alten kraftlosen Tagsatzung das politische Rendezvous des Volkslebens war in einer gärenden Umwandlungszeit.

So stieß Heinrich gleich beim Eintritt ins Land mitten auf seine rauschende und grollende Bewegung, und ohne auszuruhen ging er mit den hunderttausend Zuschauern auf das Schlachtfeld hinaus und wieder zurück in die reiche Stadt, welche mit ihren zahlreichen silbernen und goldenen Ehrengefäßen den Wirt machte. Doch mit dem Mittage räumte die geschichtliche Feier der Vergangenheit der treibenden Gegenwart den Platz ein, und unter der großen Speisehütte des Schießplatzes aßen schon an diesem ersten Mittag fünftausend waffenkundige Männer zusammen, indessen am andern Ende des Platzes auf eine unabsehbare Scheibenreihe ein Rottenfeuer eröffnet wurde, welches acht Tage lang anhielt, ohne einen Augenblick aufzuhören. Dies war kein blindes Knattern wie von einem Regiment Soldaten, sondern zu jedem Schusse gehörte ein wohlzielender Mann mit hellen Augen, der in einem guten Rocke steckte, seiner Glieder mächtig war und wußte was er wollte.

Inmitten der hölzernen Feststadt, deren Ordnung, Gebrauch und Art trotz aller Luftigkeit herkömmlich und festgestellt war und ihre eigene Architektur erzeugt hatte, ragten drei monumentale Zeichen aus dem Wogen der Völkerschaft, die das große Viereck ausfüllte. Ganz in der Mitte die ungeheure grüne Tanne, aus deren Stamm ein vielröhriger Brunnen sein lebendiges Wasser in eine weite Schale goß. In einiger Entfernung davon stand die Fahnenburg, auf welche die Fahnen der stündlich ankommenden Schützengesellschaften gesteckt und unter deren Bogen

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