Ungekürztes Werk "Der grüne Heinrich" von Gottfried Keller (Seite 523)

auch es abzulehnen, da zum ersten Mal ein viel älterer und ganzer Mann, dessen Haare schon ergrauten, ihm solches anbot. Endlich aber gewann er durch den Wert, welcher durch des Mannes Vetrauen und Freundschaft in ihn gelegt wurde, einen guten Mut und er gab dem Grafen die Hand und sah ihn an; doch erst nach einem Weilchen des gleichmütigen und ruhigen Gespräches brachte er auch endlich das Du über die Lippen, so gleichsam im Vorbeigehen brachte er es bescheiden, doch tapfer an, daß der Graf lächelte und ihn beim Kopf kriegte.

Der ältere Freund reiste noch am selben Tage auf sein Gut zurück und der jüngere machte sich endlich am nächsten Morgen auf den Heimweg. Es widerstrebte ihm, den alten geraden Weg, den er unter wechselndem Geschick schon so oft zur Hälfte zurückgelegt, abermals anzutreten, und reiste daher in einem Bogen durch Süddeutschland auf die Stadt Basel zu. Er war nun gerade sieben Jahre abwesend; dies dünkte ihn, so schnell sie auch vorübergeschwunden, jetzt eine Ewigkeit, da ihm mit einem Male, als er sich dem Vaterlande nähern sollte, alles schwer aufs Herz fiel, was sich in demselben begeben, ohne daß er den allerkleinsten Teil daran hatte. Noch schwerer fiel ihm die Mutter aufs Gewissen, die er nun endlich wiedersehen sollte, und in die Freude und Hoffnung über das Wiedersehen mischte sich eine seltsame Beklemmung und Furcht, wenn er sich die Veränderung dachte, welche mit ihrem äußeren Aussehen vorgegangen sein mußte, und er fühlte die Flucht und das Gewicht dieser sieben Jahre tief mit für die alternde Mutter. Seit seine erste Heimreise so romantisch unterbrochen worden und er in dem Hause des Gastfreundes gelebt, hatte er erst das Schreiben an sie immer aufgeschoben, weil er dachte, so bald als möglich selbst hinzukommen und mit seiner wohlhergestellten Person Ende gut alles gut zu spielen. Dann, als er in die Liebeskrankheit verfiel, vergaß er sie zeitweise ganz, und wenn er an sie dachte, wäre es ihm nicht möglich gewesen, auch nur eine Zeile zu schreiben, so wenig als etwas anderes zu beginnen, und am wenigsten hätte er gewußt, in welchem Tone er an die Mutter schreiben sollte, ohne sie zu täuschen, da er selbst nicht wußte, ob er den Tod oder das Leben im Herzen trage. Er ließ daher die Dinge gehen, wie sie gingen, vertraute auf die gute Natur der Mutter und setzte ihre Ruhe mit seiner Ruhe auf die gleiche Karte. Jetzt aber befiel ihn, der noch vor kurzem einen so großen Respekt und eine gewisse Furcht vor dem jungen schönen Weibe gehegt, das er liebte, jetzt befiel ihn dieses Gefühl, wie eine Art Scheu, in verdoppeltem Maße vor der alten schwachen, lange nicht gesehenen Mutter, und es war ihm zu Mute, wie wenn er einer strengen Richterin entgegenginge, die ihn um ihn und sein Leben zur Verantwortung zöge.

Zugleich bemerkte er, sobald er einen Tag lang wieder ganz allein gewesen, daß unversehens der heillose Druck von Dortchens Bild, der, solange er mit dem Grafen noch fröhlich beisammen war, sich nicht hatte verspüren

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