Ungekürztes Werk "Der grüne Heinrich" von Gottfried Keller (Seite 526)

Schweiz herrühren.

Der Zürichputsch war aber eine religiöse Bewegung gewesen, da der müßige Fortschritt, eingedenk des Sprichwortes, daß Müßiggang aller Laster Anfang ist, etwas an der Religion machen wollte, wie die Bauern sich ausdrückten, und zwar auf dogmatischem Wege. Die Kirche läßt sich aber von unkirchlichen Leuten nicht schulmeistern und umgestalten, sondern nur ignorieren oder abschaffen, wenn die Mehrheit dafür da ist. Die Juristen waren sehr betrübt und entsetzt, zu sehen, daß die Religion dergestalt auf das Gemüt einwirken könne, daß selbst eine aufgeschriebene Verfassung damit zu brechen sei, und sie hielten über diesen Folgen ihrer müßigen Tat den Untergang der Welt nahe; die folgenden Putsche aber gewannen durch diesen Anfang ihr Losungswort, den Glauben, und infolgedessen fanden sich denn richtig die Jesuiten ein als die vollendeten Lückenbüßer der Geschichte und wurden von den der weiteren zweckmäßigen Ausgestaltung des Landes widerstrebenden Dialektikern und Schachspielern als handliche Schachfiguren benutzt, während sie wähnten, um ihrer selbst willen und aus eigener Kraft da zu sein. Sie reichten gerade aus, durch ihr Wesen und ihre Bestimmung einen kräftigen und höchst produktiven Haß und Groll zu erregen, welcher auf dem Fest zu Basel dermaßen gewaltig rauschte, daß davon die Rede war, in corpore aufzubrechen und in den Festkleidern, den Festwein im Blute, hinzuziehen, um den Jesuiten das Loch zu verstopfen und ihre verrückte Theokratie zu zerstören.

Dies blieb zwar nur eine Rede, doch wurde der Keim gelegt zu jener seltsamen Erscheinung der Freischarenzüge, wo seßhafte wohlgestellte Leute, die sämtlich in der Armee eingereiht waren, sich in bürgerliche Kleidung steckten, sich zusammentaten, durch fingierte Handstreiche unter den Augen ihrer Regierungen Stück und Wagen aneigneten und gut bewaffnet auszogen, um in eine benachbarte Souveränität einzubrechen und die dortige gleichgesinnte Minderheit mit Gewalt zur Mehrheit zu machen. Diese vermummten Zivilkrieger wollten für sich nichts, weder Beute noch Kriegsruhm noch Beförderung holen, sondern zogen einzig für den reinen Gedanken aus; als sie daher allein an dem Fluche der Ungesetzlichkeit und offenen Vertragsbrüchigkeit untergingen, trat der noch seltsamere Fall ein, daß sie sich nicht ihrer Tat zu schämen brauchten und doch eingestehen durften, es sei gut, daß sie nicht gelungen, indem ohne den tragischen Verlauf der Freischarenzüge der Sonderbund nicht jene energische Form gewonnen hätte, die den schließlichen Sieg der legalen and ruhigen Freisinnigen herausgefordert und ermöglicht hat. Dem wahrhaft freisinnigen Manne geziemt es, froh zu sein, wenn ihm das Ungehörige und Unüberlegte mißlungen, und er überläßt es den Despoten und wilden Bestien, einen blinden günstigen Zufall als Gnade Gottes und die Schärfe der Klauen als Recht auszukündigen.

Indessen hinderte der Zorn die Schweizer in Basel nicht, im größten Maßstabe zu zechen, und Zorn und Freude schillerten so blitzend durcheinander wie der rote und weiße Wein, von welchem an dem bewegtesten Tage der Woche gegen neunzigtausend Flaschen getrunken wurden allein in der großen Hütte, während die leidenschaftlichen Tischreden von der Tribüne tönten. Als Heinrich, der drei Tage auf dem Platze blieb, diese Kraft und Fülle sah, schien ihm dies fast bedenklich; denn nach dem stillen und innerlichen Leben, das er in der letzten

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