Ungekürztes Werk "Minna von Barnhelm" von Gotthold Ephraim Lessing (Seite 26)

(Reicht ihm die Rolle Dukaten.)

V. TELLHEIM. Werner!

WERNER. Nun? Warum sehen Sie mich so starr an? – So nehmen Sie doch, Herr Major! –

V. TELLHEIM. Werner!

WERNER. Was fehlt Ihnen? Was ärgert Sie?

V. TELLHEIM (bitter, indem er sich vor die Stirne schlägt und mit dem Fuße auftritt). Daß es – die vierhundert Taler nicht ganz sind!

WERNER. Nun, nun, Herr Major! Haben Sie mich denn nicht verstanden?

V. TELLHEIM. Eben weil ich dich verstanden habe! – Daß mich doch die besten Menschen heut am meisten quälen müssen!

WERNER. Was sagen Sie?

V. TELLHEIM. Es geht dich nur zur Hälfte an! – Geh, Werner! (Indem er die Hand, mit der ihm Werner die Dukaten reichet, zurückstößt.)

WERNER. Sobald ich das los bin!

V. TELLHEIM. Werner, wenn du nun von mir hörst, daß die Marloffin heute ganz früh selbst bei mir gewesen ist?

WERNER. So?

V. TELLHEIM. Daß sie mir nichts mehr schuldig ist?

WERNER. Wahrhaftig?

V. TELLHEIM. Daß sie mich bei Heller und Pfennig bezahlt hat: was wirst du denn sagen?

Werner (der sich einen Augenblick besinnt). Ich werde sagen, daß ich gelogen habe, und daß es eine hundsfött'sche Sache ums Lügen ist, weil man drüber ertappt werden kann.

V. TELLHEIM. Und wirst dich schämen?

WERNER. Aber er, der mich so zu lügen zwingt, was sollte der? Sollte der sich nicht auch schämen? Sehen Sie, Herr Major, wenn ich sagte, daß mich Ihr Verfahren nicht verdrösse, so hätte ich wieder gelogen, und ich will nicht mehr lügen. –

V. TELLHEIM. Sei nicht verdrießlich, Werner! Ich erkenne dein Herz und deine Liebe zu mir. Aber ich brauche dein Geld nicht.

WERNER. Sie brauchen es nicht? Und verkaufen lieber und versetzen lieber und bringen sich lieber in der Leute Mäuler?

V. TELLHEIM. Die Leute mögen es immer wissen, daß ich nichts mehr habe. Man muß nicht reicher scheinen wollen, als man ist.

WERNER. Aber warum ärmer? – Wir haben, solange unser Freund hat.

V. TELLHEIM. Es ziemt sich nicht, daß ich dein Schuldner bin.

WERNER. Ziemt sich nicht? – Wenn an einem heißen Tage, den uns die Sonne und der Feind heiß machte, sich Ihr Reitknecht mit den Kantinen verloren hatte, und Sie zu mir kamen und sagten: »Werner, hast du nichts zu trinken?« und ich Ihnen meine Feldflasche reichte, nicht wahr, Sie nahmen und tranken? – Ziemte sich das? – Bei meiner armen Seele, wenn ein Trunk faules Wasser damals nicht oft mehr wert war als alle der Quark! (Indem er auch den Beutel mit den Louisdoren herauszieht und ihm beides hinreicht.) Nehmen Sie, lieber Major! Bilden Sie sich ein, es ist Wasser. Auch das hat Gott für alle geschaffen.

V. TELLHEIM. Du marterst mich; du hörst es ja, ich will dein Schuldner nicht sein.

WERNER. Erst ziemte es sich nicht; nun wollen Sie nicht? Ja, das ist was anders. (Etwas ärgerlich.) Sie wollen mein Schuldner nicht sein? Wenn Sie es denn aber schon wären, Herr Major? Oder sind Sie dem Manne nichts schuldig, der einmal den Hieb auffing, der Ihnen den Kopf spalten sollte, und ein andermal den Arm vom Rumpfe hieb, der eben losdrücken und Ihnen die Kugel durch die Brust jagen wollte?

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