Ungekürztes Werk "Minna von Barnhelm" von Gotthold Ephraim Lessing (Seite 35)
selbst ein.) Wer wird einem Bettler so viel geben? Und ihm noch dazu die Erniedrigung, es erbettelt zu haben, zu ersparen suchen? Den Mildtätigen, der den Bettler aus Großmut verkennen will, verkennt der Bettler wieder. Nun mögen Sie es haben, Fräulein, wenn er Ihre Gabe, ich weiß nicht wofür, ansieht. – (Und reicht der Franziska eine Tasse.) Wollen Sie mir das Blut noch mehr in Wallung bringen? Ich mag nicht trinken. (Das Fräulein setzt sie wieder weg.) »Parbleu, Ihro Gnad, man kenn sik hier nit auf den Verdienst.« (In dem Tone des Franzosen.) Freilich nicht, wenn man die Spitzbuben so ungehangen herumlaufen läßt.
Das Fräulein (kalt und nachdenkend, indem sie trinkt). Mädchen, du verstehst dich so trefflich auf die guten Menschen: aber, wenn willst du die schlechten ertragen lernen? – Und sie sind doch auch Menschen. – Und öfters bei weitem so schlechte Menschen nicht, als sie scheinen. – Man muß ihre gute Seite nur aufsuchen. – Ich bilde mir ein, dieser Franzose ist nichts als eitel. Aus bloßer Eitelkeit macht er sich zum falschen Spieler; er will mir nicht verbunden scheinen, er will sich den Dank ersparen. Vielleicht, daß er nun hingeht, seine kleine Schulden bezahlt, von dem Reste, soweit er reicht, still und sparsam lebt und an das Spiel nicht denkt. Wenn das ist, liebe Franziska, so laß ihn Rekruten holen, wenn er will. – (Gibt ihr die Tasse.) Da, setz weg! – Aber, sage mir, sollte Tellheim nicht schon da sein?
FRANZISKA. Nein, gnädiges Fräulein, ich kann beides nicht, weder an einem schlechten Menschen die gute, noch an einem guten Menschen die böse Seite aufsuchen.
DAS FRÄULEIN. Er kömmt doch ganz gewiß? –
FRANZISKA. Er sollte wegbleiben! – Sie bemerken an ihm, dem besten Manne, ein wenig Stolz, und darum wollen Sie ihn so grausam necken?
DAS FRÄULEIN. Kömmst du da wieder hin? – Schweig, das will ich nun einmal so. Wo du mir diese Lust verdirbst; wo du nicht alles sagst und tust, wie wir es abgeredet haben! – Ich will dich schon allein mit ihm lassen, und dann – – Jetzt kömmt er wohl.
Vierter Auftritt
Paul Werner (der in einer steifen Stellung, gleichsam im Dienste, hereintritt). Das Fräulein. Franziska.
FRANZISKA. Nein, es ist nur sein lieber Wachtmeister.
DAS FRÄULEIN. Lieber Wachtmeister? Auf wen bezieht sich dieses Lieber?
FRANZISKA. Gnädiges Fräulein, machen Sie mir den Mann nicht verwirrt. – Ihre Dienerin, Herr Wachtmeister; was bringen Sie uns?
Werner (geht, ohne auf die Franziska zu achten, an das Fräulein). Der Major von Tellheim läßt an das gnädige Fräulein von Barnhelm durch mich, den Wachtmeister Werner, seinen untertänigen Respekt vermelden und sagen, daß er sogleich hier sein werde.
DAS FRÄULEIN. Wo bleibt er denn?
WERNER. Ihro Gnaden werden verzeihen; wir sind noch vor dem Schlage drei aus dem Quartier gegangen, aber da hat ihn der Kriegszahlmeister unterwegens angeredt, und weil mit dergleichen Herren des Redens immer kein Ende ist: so gab er mir einen Wink, dem gnädigen Fräulein den Vorfall zu rapportieren.
DAS FRÄULEIN. Recht wohl, Herr Wachtmeister. Ich wünsche nur, daß der Kriegszahlmeister dem Major etwas Angenehmes möge