Ungekürztes Werk "Minna von Barnhelm" von Gotthold Ephraim Lessing (Seite 46)

gewahr wird). St! Herr Major –

V. TELLHEIM (gegen den Feldjäger). Zu wem wollen Sie?

Der Feldjäger. Ich suche den Herrn Major von Tellheim. – Ah, Sie sind es ja selbst. Mein Herr Major, dieses königliche Handschreiben (das er aus seiner Brieftasche nimmt) habe ich an Sie zu übergeben.

V. TELLHEIM. An mich?

Der Feldjäger. Zufolge der Aufschrift –

DAS FRÄULEIN. Franziska, hörst du? – Der Chevalier hat doch wahr geredet!

Der Feldjäger (indem Tellheim den Brief nimmt). Ich bitte um Verzeihung, Herr Major; Sie hätten es bereits gestern erhalten sollen, aber es ist mir nicht möglich gewesen, Sie auszufragen. Erst heute auf der Parade habe ich Ihre Wohnung von dem Leutnant Riccaut erfahren.

FRANZISKA. Gnädiges Fräulein, hören Sie? – Das ist des Chevaliers Minister. – »Wie heißen der Minister da drauß auf die breite Platz?« –

V. TELLHEIM. Ich bin Ihnen für Ihre Mühe sehr verbunden.

Der Feldjäger. Es ist meine Schuldigkeit, Herr Major. (Geht ab.)

Siebenter Auftritt

v. Tellheim. Das Fräulein. Franziska.

V. TELLHEIM. Ah, mein Fräulein, was habe ich hier? Was enthält dieses Schreiben?

DAS FRÄULEIN. Ich bin nicht befugt, meine Neugierde so weit zu erstrecken.

V. TELLHEIM. Wie? Sie trennen mein Schicksal noch von dem Ihrigen? – Aber warum steh ich an, es zu erbrechen? – Es kann mich nicht unglücklicher machen, als ich bin; nein, liebste Minna, es kann uns nicht unglücklicher machen – wohl aber glücklicher! – Erlauben Sie, mein Fräulein! (Erbricht und lieset den Brief, indes daß der Wirt an die Szene geschlichen kömmt.)

Achter Auftritt

Der Wirt. Die Vorigen.

DER WIRT (gegen die Franziska). Bst! mein schönes Kind! auf ein Wort!

Franziska (die sich ihm nähert). Herr Wirt? – Gewiß, wir wissen selbst noch nicht, was in dem Briefe steht.

DER WIRT. Wer will vom Briefe wissen? – Ich komme des Ringes wegen. Das gnädige Fräulein muß mir ihn gleich wiedergeben. Just ist da, er soll ihn wieder einlösen.

Das Fräulein (das sich indes gleichfalls dem Wirte genähert). Sagen Sie Justen nur, daß er schon eingelöset sei; und sagen Sie ihm nur, von wem; von mir.

DER WIRT. Aber –

DAS FRÄULEIN. Ich nehme alles auf mich; gehen Sie doch!

(Der Wirt geht ab.)

Neunter Auftritt

v. Tellheim. Das Fräulein. Franziska.

FRANZISKA. Und nun, gnädiges Fräulein, lassen Sie es mit dem armen Major gut sein.

DAS FRÄULEIN. Oh, über die Vorbitterin! Als ob der Knoten sich nicht von selbst bald lösen müßte.

V. TELLHEIM (nachdem er gelesen, mit der lebhaftesten Rührung). Ha! er hat sich auch hier nicht verleugnet! – Oh, mein Fräulein, welche Gerechtigkeit! – welche Gnade! – Das ist mehr als ich erwartet! – Mehr, als ich verdiene! – Mein Glück, meine Ehre, alles ist wiederhergestellt! – Ich träume doch nicht? (Indem er wieder in den Brief sieht, als um sich nochmals zu überzeugen.) Nein, kein Blendwerk meiner Wünsche! – Lesen Sie selbst, mein Fräulein, lesen Sie selbst!

DAS FRÄULEIN. Ich bin nicht so unbescheiden, Herr Major.

V. TELLHEIM. Unbescheiden? Der Brief ist an mich, an Ihren Tellheim, Minna. Er enthält – was Ihnen Ihr Oheim nicht nehmen kann. Sie müssen ihn lesen; lesen Sie doch!

DAS FRÄULEIN. Wenn Ihnen ein Gefalle damit geschieht,

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