Ungekürztes Werk "Minna von Barnhelm" von Gotthold Ephraim Lessing (Seite 45)

nicht merkt! –

V. TELLHEIM (indem er die Hand des Fräuleins fahren läßt). Was ist das? – Ich sehe das Fräulein von Barnhelm, aber ich höre es nicht. – Sie zieren sich, mein Fräulein. – Vergeben Sie, daß ich Ihnen dieses Wort nachbrauche.

Das Fräulein (in ihrem wahren Tone). Hat Sie dieses Wort beleidiget, Herr Major?

V. TELLHEIM. Es hat mir weh getan.

Das Fräulein (gerührt). Das sollte es nicht, Tellheim. – Verzeihen Sie mir, Tellheim.

V. TELLHEIM. Ha, dieser vertrauliche Ton sagt mir, daß Sie wieder zu sich kommen, mein Fräulein, daß Sie mich noch lieben, Minna. –

Franziska (herausplatzend). Bald wäre der Spaß auch zu weit gegangen. –

Das Fräulein (gebieterisch). Ohne dich in unser Spiel zu mengen, Franziska, wenn ich bitten darf!

Franziska (beiseite und betroffen). Noch nicht genug?

DAS FRÄULEIN. Ja, mein Herr, es wäre weibliche Eitelkeit, mich kalt und höhnisch zu stellen. Weg damit! Sie verdienen es, mich ebenso wahrhaft zu finden als Sie selbst sind. – Ich liebe Sie noch, Tellheim, ich liebe Sie noch, aber demohngeachtet –

V. TELLHEIM. Nicht weiter, liebste Minna, nicht weiter! (Ergreift ihre Hand nochmals, ihr den Ring anzustecken.)

Das Fräulein (die ihre Hand zurückzieht). Demohngeachtet – um so viel mehr werde ich dieses nimmermehr geschehen lassen, nimmermehr! – Wo denken Sie hin, Herr Major? – Ich meinte, Sie hätten an Ihrem eigenen Unglücke genug. – Sie müssen hierbleiben; Sie müssen sich die allervollständigste Genugtuung – ertrotzen. Ich weiß in der Geschwindigkeit kein ander Wort. – Ertrotzen – und sollte Sie auch das äußerste Elend, vor den Augen Ihrer Verleumder, darüber verzehren!

V. TELLHEIM. So dacht' ich, so sprach ich, als ich nicht wußte, was ich dachte und sprach. Ärgernis und verbissene Wut hatten meine ganze Seele umnebelt; die Liebe selbst in dem vollesten Glanze des Glückes konnte sich darin nicht Tag schaffen. Aber sie sendet ihre Tochter, das Mitleid, die, mit dem finstern Schmerze vertrauter, die Nebel zerstreuet und alle Zugänge meiner Seele den Eindrücken der Zärtlichkeit wiederum öffnet. Der Trieb der Selbsterhaltung erwacht, da ich etwas Kostbarers zu erhalten habe als mich und es durch mich zu erhalten habe. Lassen Sie mich, mein Fräulein, das Wort Mitleid nicht beleidigen. Von der unschuldigen Ursache unsers Unglücks können wir es ohne Erniedrigung hören. Ich bin diese Ursache; durch mich, Minna, verlieren Sie Freunde und Anverwandte, Vermögen und Vaterland. Durch mich, in mir müssen Sie alles dieses wiederfinden, oder ich habe das Verderben der Liebenswürdigsten Ihres Geschlechts auf meiner Seele. Lassen Sie mich keine Zukunft denken, wo ich mich selbst hassen müßte. – Nein, nichts soll mich hier länger halten. Von diesem Augenblicke an will ich dem Unrechte, das mir hier widerfährt, nichts als Verachtung entgegensetzen. Ist dieses Land die Welt? Geht hier allein die Sonne auf? Wo darf ich nicht hinkommen? Welche Dienste wird man mir verweigern? Und müßte ich sie unter dem entferntesten Himmel suchen: folgen Sie mir nur getrost, liebste Minna; es soll uns an nichts fehlen. – Ich habe einen Freund, der mich gern unterstützet.

Sechster Auftritt

Ein Feldjäger. v. Tellheim. Das Fräulein. Franziska.

Franziska (indem sie den Feldjäger

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