Ungekürztes Werk "Minna von Barnhelm" von Gotthold Ephraim Lessing (Seite 44)

– Wo das Herz reden darf, braucht es keiner Vorbereitung. – Das einzige möchte eine studierte Wendung bedürfen: ihre Zurückhaltung, ihre Bedenklichkeit, sich als unglücklich in meine Arme zu werfen; ihre Beflissenheit, mir ein Glück vorzuspiegeln, das sie durch mich verloren hat. Dieses Mißtrauen in meine Ehre, in ihren eigenen Wert vor ihr selbst zu entschuldigen, vor ihr selbst – Vor mir ist es schon entschuldiget! – Ha! hier kömmt sie. –

Fünfter Auftritt

Das Fräulein. Franziska. v. Tellheim.

Das Fräulein (im Heraustreten, als ob sie den Major nicht gewahr würde). Der Wagen ist doch vor der Türe, Franziska? – Meinen Fächer!

V. TELLHEIM (auf sie zu). Wohin, mein Fräulein?

Das Fräulein (mit einer affektierten Kälte). Aus, Herr Major. – Ich errate, warum Sie sich nochmals herbemühet haben: mir auch meinen Ring wieder zurückzugeben. – Wohl, Herr Major; haben Sie nur die Güte, ihn der Franziska einzuhändigen. – Franziska, nimm dem Herrn Major den Ring ab! – Ich habe keine Zeit zu verlieren. (Will fort.)

V. TELLHEIM (der ihr vortritt). Mein Fräulein! – Ah, was habe ich erfahren, mein Fräulein! Ich war so vieler Liebe nicht wert.

DAS FRÄULEIN. So, Franziska? Du hast dem Herrn Major –

FRANZISKA. Alles entdeckt.

V. TELLHEIM. Zürnen Sie nicht auf mich, mein Fräulein. Ich bin kein Verräter. Sie haben um mich in den Augen der Welt viel verloren, aber nicht in den meinen. In meinen Augen haben Sie unendlich durch diesen Verlust gewonnen. Er war Ihnen noch zu neu; Sie fürchteten, er möchte einen allzu nachteiligen Eindruck auf mich machen – Sie wollten mir ihn vors erste verbergen. Ich beschwere mich nicht über dieses Mißtrauen. Es entsprang aus dem Verlangen, mich zu erhalten. Dieses Verlangen ist mein Stolz! Sie fanden mich selbst unglücklich; und Sie wollten Unglück nicht mit Unglück häufen. Sie konnten nicht vermuten, wie sehr mich Ihr Unglück über das meinige hinaussetzen würde.

DAS FRÄULEIN. Alles recht gut, Herr Major! Aber es ist nun einmal geschehen. Ich habe Sie Ihrer Verbindlichkeit erlassen; Sie haben durch Zurücknehmung des Ringes –

V. TELLHEIM. In nichts gewilliget! – Vielmehr halte ich mich jetzt für gebundener als jemals. – Sie sind die Meinige, Minna, auf ewig die Meinige. (Zieht den Ring heraus.) Hier, empfangen Sie es zum zweiten Male, das Unterpfand meiner Treue –

DAS FRÄULEIN. Ich diesen Ring wiedernehmen? diesen Ring?

V. TELLHEIM. Ja, liebste Minna, ja!

DAS FRÄULEIN. Was muten Sie mir zu? diesen Ring?

V. TELLHEIM. Diesen Ring nahmen Sie das erstemal aus meiner Hand, als unser beider Umstände einander gleich und glücklich waren. Sie sind nicht mehr glücklich, aber wiederum einander gleich. Gleichheit ist immer das festeste Band der Liebe. – Erlauben Sie, liebste Minna! – (Ergreift ihre Hand, um ihr den Ring anzustecken.)

DAS FRÄULEIN. Wie? mit Gewalt, Herr Major? Nein, da ist keine Gewalt in der Welt, die mich zwingen soll, diesen Ring wieder anzunehmen! – – Meinen Sie etwa, daß es mir an einem Ringe fehlt? – Oh, Sie sehen ja wohl (auf ihren Ring zeigend), daß ich hier noch einen habe, der Ihrem nicht das geringste nachgibt? –

FRANZISKA. Wenn er es noch

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