Ungekürztes Werk "Nathan der Weise" von Gotthold Ephraim Lessing (Seite 3)

Fall: sie schwärmt.

DAJA.  Allein so fromm, 

So liebenswürdig!

NATHAN. Ist doch auch geschwärmt!

DAJA. Vornehmlich eine – Grille, wenn Ihr wollt,

Ist ihr sehr wert. Es sei ihr Tempelherr

Kein irdischer und keines irdischen;

Der Engel einer, deren Schutze sich

Ihr kleines Herz, von Kindheit auf, so gern

Vertrauet glaubte, sei aus seiner Wolke,

In die er sonst verhüllt, auch noch im Feuer,

Um sie geschwebt, mit eins als Tempelherr

Hervorgetreten. – Lächelt nicht! – Wer weiß?

Laßt lächelnd wenigstens ihr einen Wahn,

In dem sich Jud' und Christ und Muselmann

Vereinigen; – so einen süßen Wahn!

NATHAN.

Auch mir so süß! – Geh, wackre Daja, geh;

Sieh, was sie macht; ob ich sie sprechen kann. –

Sodann such ich den wilden, launigen

Schutzengel auf. Und wenn ihm noch beliebt,

Hienieden unter uns zu wallen; noch

Beliebt, so ungesittet Ritterschaft

Zu treiben: find ich ihn gewiß; und bring

Ihn her.

DAJA.  Ihr unternehmet viel.

NATHAN.  Macht dann

Der süße Wahn der süßern Wahrheit Platz: –

Denn, Daja, glaube mir; dem Menschen ist

Ein Mensch noch immer lieber, als ein Engel –

So wirst du doch auf mich, auf mich nicht zürnen,

Die Engelschwärmerin geheilt zu sehn?

DAJA. Ihr seid so gut, und seid zugleich so schlimm!

Ich geh! – Doch hört! doch seht! – Da kommt sie selbst.

Zweiter Auftritt

 

Recha und die Vorigen.

 

RECHA.

So seid Ihr es doch ganz und gar, mein Vater?

Ich glaubt', Ihr hättet Eure Stimme nur

Vorausgeschickt. Wo bleibt Ihr? Was für Berge,

Für Wüsten, was für Ströme trennen uns

Denn noch? Ihr atmet Wand an Wand mit ihr,

Und eilt nicht, Eure Recha zu umarmen?

Die arme Recha, die indes verbrannte! –

Fast, fast verbrannte! Fast nur. Schaudert nicht!

Es ist ein garst'ger Tod, verbrennen. Oh!

NATHAN. Mein Kind! mein liebes Kind!

RECHA.  Ihr mußtet über

Den Euphrat, Tigris, Jordan; über – wer

Weiß was für Wasser all? – Wie oft hab ich

Um Euch gezittert, eh' das Feuer mir

So nahe kam! Denn seit das Feuer mir

So nahe kam: dünkt mich im Wasser sterben

Erquickung, Labsal, Rettung. – Doch Ihr seid

Ja nicht ertrunken; ich, ich bin ja nicht

Verbrannt. Wie wollen wir uns freun, und Gott,

Gott loben! Er, er trug Euch und den Nachen

Auf Flügeln seiner unsichtbaren Engel

Die ungetreuen Ström' hinüber. Er,

Er winkte meinem Engel, daß er sichtbar

Auf seinem weißen Fittiche, mich durch

Das Feuer trüge –

NATHAN.       (Weißem Fittiche!

Ja, ja! der weiße vorgespreizte Mantel

Des Tempelherrn.)

RECHA.   Er sichtbar, sichtbar mich

Durchs Feuer trüg', von seinem Fittiche

Verweht. – Ich also, ich hab einen Engel

Von Angesicht zu Angesicht gesehn;

Und meinen Engel.

NATHAN.  Recha wär' es wert;

Und würd' an ihm nichts Schönres sehn, als er

An ihr.

RECHA (lächelnd).

  Wem schmeichelt Ihr, mein Vater? wem?

Dem Engel, oder Euch?

NATHAN. Doch hätt' auch nur

Ein Mensch – ein Mensch, wie die Natur sie täglich

Gewährt, dir diesen Dienst erzeigt: er müßte

Für dich ein Engel sein. Er müßt' und würde.

RECHA.

Nicht so ein Engel; nein! ein wirklicher;

Es war gewiß ein wirklicher! – Habt Ihr,

Ihr selbst die Möglichkeit, daß Engel sind,

Daß Gott zum Besten derer, die ihn lieben,

Auch Wunder könne tun, mich nicht gelehrt?

Ich lieb ihn ja.

NATHAN.    Und er liebt dich; und tut

Für dich, und deinesgleichen, stündlich Wunder;

Ja, hat sie schon von aller Ewigkeit

Für euch getan.

RECHA.   Das hör ich gern.

NATHAN.    Wie? weil

Es ganz natürlich, ganz alltäglich klänge,

Wenn dich ein eigentlicher Tempelherr

Gerettet hätte: sollt' es darum weniger

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