Ungekürztes Werk "Nathan der Weise" von Gotthold Ephraim Lessing (Seite 5)

du? was es schadet?

Was hilft es? dürft' ich nur hinwieder fragen. –

Denn dein »Sich Gott um so viel näher fühlen«

Ist Unsinn oder Gotteslästerung. –

Allein es schadet; ja, es schadet allerdings. –

Kommt! hört mir zu. – Nicht wahr? dem Wesen, das

Dich rettete, – es sei ein Engel oder

Ein Mensch, – dem möchtet ihr, und du besonders,

Gern wieder viele große Dienste tun? –

Nicht wahr? – Nun, einem Engel, was für Dienste,

Für große Dienste könnt ihr dem wohl tun?

Ihr könnt ihm danken; zu ihm seufzen, beten;

Könnt in Entzückung über ihn zerschmelzen;

Könnt an dem Tage seiner Feier fasten,

Almosen spenden. – Alles nichts. – Denn mich

Deucht immer, daß ihr selbst und euer Nächster

Hierbei weit mehr gewinnt, als er. Er wird

Nicht fett durch euer Fasten; wird nicht reich

Durch eure Spenden; wird nicht herrlicher

Durch eu'r Entzücken; wird nicht mächtiger

Durch eu'r Vertraun. Nicht wahr? Allein ein Mensch!

DAJA. Ei freilich hätt' ein Mensch, etwas für ihn

Zu tun, uns mehr Gelegenheit verschafft.

Und Gott weiß, wie bereit wir dazu waren!

Allein er wollte ja, bedurfte ja

So völlig nichts; war in sich, mit sich so

Vergnügsam, als nur Engel sind, nur Engel

Sein können.

RECHA.  Endlich, als er gar verschwand ...

NATHAN.

Verschwand? – Wie denn verschwand? – Sich unter Palmen

Nicht ferner sehen ließ? – Wie? oder habt

Ihr wirklich schon ihn weiter aufgesucht?

DAJA. Das nun wohl nicht.

NATHAN.    Nicht, Daja? nicht? – Da sieh

Nun was es schad't! – Grausame Schwärmerinnen! –

Wenn dieser Engel nun – nun krank geworden! ...

RECHA. Krank!

DAJA.  Krank! Er wird doch nicht!

RECHA.       Welch kalter Schauer

Befällt mich! – Daja! – Meine Stirne, sonst

So warm, fühl! ist auf einmal Eis.

NATHAN. Er ist

Ein Franke, dieses Klimas ungewohnt;

Ist jung; der harten Arbeit seines Standes,

Des Hungerns, Wachens ungewohnt.

RECHA.   Krank! krank!

DAJA. Das wäre möglich, meint ja Nathan nur.

NATHAN.

Nun liegt er da! hat weder Freund, noch Geld

Sich Freunde zu besolden.

RECHA.    Ah, mein Vater!

NATHAN. Liegt ohne Wartung, ohne Rat und Zusprach',

Ein Raub der Schmerzen und des Todes da!

RECHA. Wo? wo?

NATHAN.  Er, der für eine, die er nie

Gekannt, gesehn – genug, es war ein Mensch –

Ins Feu'r sich stürzte ...

DAJA.  Nathan, schonet ihrer!

NATHAN. Der, was er rettete, nicht näher kennen,

Nicht weiter sehen mocht', – um ihm den Dank

Zu sparen ...

DAJA.  Schonet ihrer, Nathan!

NATHAN.      Weiter

Auch nicht zu sehn verlangt', – es wäre denn,

Daß er zum zweitenmal es retten sollte –

Denn g'nug, es ist ein Mensch ...

DAJA.    Hört auf, und seht!

NATHAN. Der, der hat sterbend sich zu laben, nichts –

Als das Bewußtsein dieser Tat!

DAJA.  Hört auf!

Ihr tötet sie!

NATHAN.  Und du hast ihn getötet! –

Hättst so ihn töten können. – Recha! Recha!

Es ist Arznei, nicht Gift, was ich dir reiche.

Er lebt! – komm zu dir! – ist auch wohl nicht krank:

Nicht einmal krank!

RECHA.   Gewiß? – nicht tot? nicht krank?

NATHAN.

Gewiß, nicht tot! Denn Gott lohnt Gutes, hier

Getan, auch hier noch. – Geh! – Begreifst du aber,

Wieviel andächtig schwärmen leichter, als

Gut handeln ist? wie gern der schlaffste Mensch

Andächtig schwärmt, um nur, – ist er zu Zeiten

Sich schon der Absicht deutlich nicht bewußt –

Um nur gut handeln nicht zu dürfen?

RECHA.    Ah,

Mein Vater! Laßt, laßt Eure Recha doch

Nie wiederum allein! – Nicht wahr, er kann

Auch wohl verreist nur sein? –

NATHAN.  Geht! –

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