Ungekürztes Werk "Nathan der Weise" von Gotthold Ephraim Lessing (Seite 53)
Ich straf indes
Euch keiner Lüge.
TEMPELHERR. Nicht?
NATHAN. Kann doch wohl sein,
Daß jener Nam' Euch ebenfalls gebührt.
TEMPELHERR.
Das sollt' ich meinen! – (Das hieß Gott ihn sprechen!)
NATHAN. Denn Eure Mutter – die war eine Stauffin.
Ihr Bruder, Euer Ohm, der Euch erzogen,
Dem Eure Eltern Euch in Deutschland ließen,
Als, von dem rauhen Himmel dort vertrieben,
Sie wieder hierzulande kamen: – Der
Hieß Curd von Stauffen; mag an Kindes Statt
Vielleicht Euch angenommen haben! – Seid
Ihr lange schon mit ihm nun auch herüber-
Gekommen? Und er lebt doch noch?
TEMPELHERR. Was soll
Ich sagen? – Nathan! – Allerdings! So ist's!
Er selbst ist tot. Ich kam erst mit der letzten
Verstärkung unsers Ordens. – Aber, aber –
Was hat mit diesem allen Rechas Bruder
Zu schaffen?
NATHAN. Euer Vater ...
TEMPELHERR. Wie? auch den
Habt Ihr gekannt? Auch den?
NATHAN. Er war mein Freund.
TEMPELHERR. War Euer Freund? Ist's möglich, Nathan! ...
NATHAN. Nannte
Sich Wolf von Filnek; aber war kein Deutscher ...
TEMPELHERR. Ihr wißt auch das?
NATHAN. War einer Deutschen nur
Vermählt; war Eurer Mutter nur nach Deutschland
Auf kurze Zeit gefolgt ...
TEMPELHERR. Nicht mehr! Ich bitt
Euch! – Aber Rechas Bruder? Rechas Bruder ...
NATHAN. Seid Ihr!
TEMPELHERR. Ich? ich ihr Bruder?
RECHA. Er mein Bruder?
SITTAH. Geschwister!
SALADIN. Sie Geschwister!
RECHA (will auf ihn zu). Ah! mein Bruder!
TEMPELHERR (tritt zuruck).
Ihr Bruder!
RECHA (hält an, und wendet sich zu Nathan).
Kann nicht sein! nicht sein! Sein Herz
Weiß nichts davon ! – Wir sind Betrüger! Gott!
SALADIN (zum Tempelherrn).
Betrüger? wie? Das denkst du? kannst du denken?
Betrüger selbst! Denn alles ist erlogen
An dir: Gesicht und Stimm' und Gang! Nichts dein!
So eine Schwester nicht erkennen wollen! Geh!
TEMPELHERR (sich demütig ihm nahend).
Mißdeut auch du nicht mein Erstaunen, Sultan!
Verkenn in einem Augenblick', in dem
Du schwerlich deinen Assad je gesehen,
Nicht ihn und mich! (Auf Nathan zueilend.)
Ihr nehmt und gebt mir, Nathan!
Mit vollen Händen beides ! – Nein ! Ihr gebt
Mir mehr, als Ihr mir nehmt! unendlich mehr!
(Recha um den Hals fallend.)
Ah! meine Schwester! meine Schwester!
NATHAN. Blanda
Von Filnek.
TEMPELHERR. Blanda? Blanda? – Recha nicht?
Nicht Eure Recha mehr? – Gott! Ihr verstoßt
Sie! gebt ihr ihren Christennamen wieder!
Verstoßt sie meinetwegen! – Nathan! Nathan!
Warum es sie entgelten lassen? sie!
NATHAN. Und was? – O meine Kinder! meine Kinder! –
Denn meiner Tochter Bruder wär' mein Kind
Nicht auch, – sobald er will?
(Indem er sich ihren Umarmungen überläßt, tritt Saladin
mit unruhigem Erstaunen zu seiner Schwester.)
SALADIN. Was sagst du, Schwester?
SITTAH. Ich bin gerührt ...
SALADIN. Und ich, – ich schaudere
Vor einer größern Rührung fast zurück!
Bereite dich nur drauf, so gut du kannst.
SITTAH. Wie?
SALADIN. Nathan, auf ein Wort! ein Wort! –
(Indem Nathan zu ihm tritt, tritt Sittah zu dem Geschwister, ihm ihre Teilnahme zu bezeigen, und Nathan und Saladin sprechen leiser.)
Hör! hör doch, Nathan! Sagtest du vorhin
Nicht –?
NATHAN. Was?
SALADIN. Aus Deutschland sei ihr Vater nicht
Gewesen; ein geborner Deutscher nicht.
Was war er denn? Wo war er sonst denn her?
NATHAN. Das hat er selbst mir nie vertrauen wollen.
Aus seinem Munde weiß ich nichts davon.
SALADIN.
Und war auch sonst kein Frank? kein Abendländer?
NATHAN. Oh! daß er der nicht sei, gestand er wohl. –
Er sprach am liebsten Persisch ...
SALADIN. Persisch? Persisch?
Was will ich mehr? – Er ist's! Er war es!
NATHAN. Wer?
SALADIN. Mein Bruder! ganz gewiß! Mein Assad! ganz
Gewiß!
NATHAN. Nun, wenn du selbst darauf verfällst: –
Nimm die Versichrung hier in diesem Buche!
(Ihm das Brevier überreichend.)
SALADIN (es begierig aufschlagend).
Ah! seine Hand! Auch die erkenn ich wieder!
NATHAN. Noch wissen sie von nichts! Noch steht's bei dir
Allein, was sie davon erfahren sollen!
SALADIN (indes er darin geblättert).
Ich meines Bruders Kinder nicht erkennen?
Ich meine Neffen – meine Kinder nicht?
Sie nicht erkennen? ich? Sie dir wohl lassen?
(Wieder laut.)
Sie sind's! Sie sind es, Sittah, sind's! Sie sind's!
Sind beide meines ... deines Bruders Kinder!
(Er rennt in ihre Umarmungen.)
SITTAH (ihm folgend).
Was hör ich! – Konnt's auch anders, anders sein! –
SALADIN (zum Tempelherrn).
Nun mußt du doch wohl, Trotzkopf, mußt mich lieben!
(Zu Recha.) Nun bin ich doch, wozu ich mich erbot?
Magst wollen, oder nicht!
SITTAH. Ich auch! ich auch!
SALADIN (zum Tempelherrn zurück).
Mein Sohn! mein Assad! meines Assads Sohn!
TEMPELHERR. Ich deines Bluts! – So waren jene Träume,
Womit man meine Kindheit wiegte, doch –
Doch mehr als Träume! (Ihm zu Füßen fallend.)
SALADIN (ihn aufhebend).
Seht den Bösewicht!
Er wußte was davon, und konnte mich
Zu seinem Mörder machen wollen! Wart!
(Unter stummer Wiederholung allseitiger Umarmungen fällt der Vorhang.)