Ungekürztes Werk "Nathan der Weise" von Gotthold Ephraim Lessing (Seite 50)

sollst vergebens dich zu meiner Freundin,

Zu meiner Schwester nicht erboten haben!

SITTAH. Ich bin's ja! bin's! – Steh doch nur auf! Ich muß

Sonst Hilfe rufen.

RECHA (die sich ermannt und aufsteht).

Ah! verzeih! vergib! –

Mein Schmerz hat mich vergessen machen, wer

Du bist. Vor Sittah gilt kein Winseln, kein

Verzweifeln. Kalte, ruhige Vernunft

Will alles über sie allein vermögen.

Wes Sache diese bei ihr führt, der siegt!

SITTAH. Nun dann?

RECHA. Nein; meine Freundin, meine Schwester

Gibt das nicht zu! Gibt nimmer zu, daß mir

Ein andrer Vater aufgedrungen werde!

SITTAH. Ein andrer Vater? aufgedrungen? dir?

Wer kann das? kann das auch nur wollen, Liebe?

RECHA. Wer? Meine gute böse Daja kann

Das wollen, – will das können. – Ja; du kennst

Wohl diese gute böse Daja nicht?

Nun, Gott vergeb' es ihr! – belohn' es ihr!

Sie hat mir so viel Gutes, – so viel Böses

Erwiesen!

SITTAH.   Böses dir? – So muß sie Gutes

Doch wahrlich wenig haben.

RECHA.  Doch! recht viel,

Recht viel!

SITTAH.    Wer ist sie?

RECHA.    Eine Christin, die

In meiner Kindheit mich gepflegt; mich so

Gepflegt! – Du glaubst nicht! – Die mir eine Mutter

So wenig missen lassen! – Gott vergelt'

Es ihr! – Die aber mich auch so geängstet!

Mich so gequält!

SITTAH.    Und über was? warum?

Wie?

RECHA.  Ach! die arme Frau – ich sag dir's ja –

Ist eine Christin; – muß aus Liebe quälen; –

Ist eine von den Schwärmerinnen, die

Den allgemeinen, einzig wahren Weg

Nach Gott zu wissen wähnen!

SITTAH.     Nun versteh ich!

RECHA. Und sich gedrungen fühlen, einen jeden,

Der dieses Wegs verfehlt, darauf zu lenken. –

Kaum können sie auch anders. Denn ist's wahr

Daß dieser Weg allein nur richtig führt:

Wie sollen sie gelassen ihre Freunde

Auf einem andern wandeln sehn, – der ins

Verderben stürzt, ins ewige Verderben?

Es müßte möglich sein, denselben Menschen

Zur selben Zeit zu lieben und zu hassen. –

Auch ist's das nicht, was endlich laute Klagen

Mich über sie zu führen zwingt. Ihr Seufzen,

Ihr Warnen, ihr Gebet, ihr Drohen hätt'

Ich gern noch länger ausgehalten; gern!

Es brachte mich doch immer auf Gedanken,

Die gut und nützlich. Und wem schmeichelt's doch

Im Grunde nicht, sich gar so wert und teuer,

Von wem's auch sei, gehalten fühlen, daß

Er den Gedanken nicht ertragen kann,

Er müss' einmal auf ewig uns entbehren!

SITTAH. Sehr wahr!

RECHA. Allein – allein – das geht zu weit!

Dem kann ich nichts entgegensetzen; nicht

Geduld, nicht Überlegung; nichts!

SITTAH. Was? wem?

RECHA. Was sie mir eben itzt entdeckt will haben.

SITTAH. Entdeckt? und eben itzt?

RECHA. Nur eben itzt!

Wir nahten, auf dem Weg hierher, uns einem

Verfallnen Christentempel. Plötzlich stand

Sie still; schien mit sich selbst zu kämpfen; blickte

Mit nassen Augen bald gen Himmel, bald

Auf mich. Komm, sprach sie endlich, laß uns hier

Durch diesen Tempel in die Richte gehn!

Sie geht; ich folg ihr, und mein Auge schweift

Mit Graus die wankenden Ruinen durch.

Nun steht sie wieder; und ich sehe mich

An den versunknen Stufen eines morschen

Altars mit ihr. Wie ward mir? als sie da

Mit heißen Tränen, mit gerungnen Händen

Zu meinen Füßen stürzte ...

SITTAH. Gutes Kind!

RECHA. Und bei der Göttlichen, die da wohl sonst

So manch Gebet erhört, so manches Wunder

Verrichtet habe, mich beschwor; – mit Blicken

Des wahren Mitleids mich beschwor, mich meiner

Doch zu erbarmen! – Wenigstens, ihr zu

Vergeben, wenn sie mir entdecken müsse,

Was ihre Kirch' auf mich für Anspruch habe.

SITTAH. (Unglückliche! – Es

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