Ungekürztes Werk "Nathan der Weise" von Gotthold Ephraim Lessing (Seite 48)

des Patriarchen, die

So ähnlich immer sich erhält, hat mich

Des nächsten Weges wieder zu mir selbst

Gebracht. – Denn hört mich, Nathan; hört mich aus! –

Gesetzt; er wüßt' auch Euern Namen: was

Nun mehr, was mehr? – Er kann Euch ja das Mädchen

Nur nehmen, wenn sie niemands ist, als Euer.

Er kann sie doch aus Euerm Hause nur

Ins Kloster schleppen. – Also – gebt sie mir!

Gebt sie nur mir; und laßt ihn kommen. Ha!

Er soll's wohl bleibenlassen, mir mein Weib

Zu nehmen. – Gebt sie mir; geschwind! – Sie sei

Nun Eure Tochter, oder sei es nicht!

Sei Christin, oder Jüdin, oder keines!

Gleichviel! gleichviel! Ich werd Euch weder itzt

Noch jemals sonst in meinem ganzen Leben

Darum befragen. Sei, wie's sei!

NATHAN.  Ihr wähnt

Wohl gar, daß mir die Wahrheit zu verbergen

Sehr nötig?

TEMPELHERR.  Sei, wie's sei!

NATHAN. Ich hab es ja

Euch – oder wem es sonst zu wissen ziemt –

Noch nicht geleugnet, daß sie eine Christin,

Und nichts als meine Pflegetochter ist. –

Warum ich's aber ihr noch nicht entdeckt? –

Darüber brauch ich nur bei ihr mich zu

Entschuldigen.

TEMPELHERR.   Das sollt ihr auch bei ihr

Nicht brauchen. – Gönnt's ihr doch, daß sie Euch nie

Mit andern Augen darf betrachten! Spart

Ihr die Entdeckung doch! – Noch habt Ihr ja,

Ihr ganz allein, mit ihr zu schalten. Gebt

Sie mir! Ich bitt Euch, Nathan; gebt sie mir!

Ich bin's allein, der sie zum zweiten Male

Euch retten kann – und will.

NATHAN.  Ja – konnte! konnte!

Nun auch nicht mehr. Es ist damit zu spät.

TEMPELHERR. Wieso? zu spät?

NATHAN.   Dank sei dem Patriarchen ...

TEMPELHERR.

Dem Patriarchen? Dank? ihm Dank? wofür?

Dank hätte der bei uns verdienen wollen?

Wofür? wofür?

NATHAN.   Daß wir nun wissen, wem

Sie anverwandt; nun wissen, wessen Händen

Sie sicher ausgeliefert werden kann.

TEMPELHERR.

Das dank' ihm – wer für mehr ihm danken wird!

NATHAN. Aus diesen müßt Ihr sie nun auch erhalten;

Und nicht aus meinen.

TEMPELHERR.    Arme Recha! Was

Dir alles zustößt, arme Recha! Was

Ein Glück für andre Waisen wäre, wird

Dein Unglück! – Nathan! – Und wo sind sie, diese

Verwandte?

NATHAN. Wo sie sind?

TEMPELHERR. Und wer sie sind?

NATHAN. Besonders hat ein Bruder sich gefunden,

Bei dem Ihr um sie werben müßt.

TEMPELHERR.    Ein Bruder?

Was ist er, dieser Bruder? Ein Soldat?

Ein Geistlicher? – Laßt hören, was ich mir

Versprechen darf.

NATHAN. Ich glaube, daß er keines

Von beiden – oder beides ist. Ich kenn

Ihn noch nicht recht.

TEMPELHERR.   Und sonst?

NATHAN.   Ein braver Mann

Bei dem sich Recha gar nicht übel wird

Befinden.

TEMPELHERR.

   Doch ein Christ! – Ich weiß zuzeiten

Auch gar nicht, was ich von Euch denken soll: –

Nehmt mir's nicht ungut, Nathan. – Wird sie nicht

Die Christin spielen müssen, unter Christen?

Und wird sie, was sie lange g'nug gespielt,

Nicht endlich werden? Wird den lautern Weizen,

Den Ihr gesät, das Unkraut endlich nicht

Ersticken? – Und das kümmert Euch so wenig?

Dem ungeachtet könnt Ihr sagen – Ihr? –

Daß sie bei ihrem Bruder sich nicht übel

Befinden werde?

NATHAN. Denk ich! hoff ich! – Wenn

Ihr ja bei ihm was mangeln sollte, hat

Sie Euch und mich denn nicht noch immer? –

TEMPELHERR. Oh!

Was wird bei ihm ihr mangeln können! Wird

Das Brüderchen mit Essen und mit Kleidung,

Mit Naschwerk und mit Putz, das Schwesterchen

Nicht reichlich g'nug versorgen? Und was braucht

Ein Schwesterchen denn mehr? – Ei freilich: auch

Noch einen Mann! – Nun, nun, auch

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