Ungekürztes Werk "Nathan der Weise" von Gotthold Ephraim Lessing (Seite 47)
Ich darf ja doch wohl fragen, Nathan, wer
Euch da verließ?
NATHAN. Ihr kennt ihn doch wohl nicht?
TEMPELHERR.
War's nicht die gute Haut, der Laienbruder,
Des sich der Patriarch so gern zum Stöber
Bedient?
NATHAN. Kann sein! Beim Patriarchen ist
Er allerdings.
TEMPELHERR. Der Pfiff ist gar nicht übel:
Die Einfalt vor der Schurkerei voraus-
Zuschicken.
NATHAN. Ja, die dumme, – nicht die fromme.
TEMPELHERR. An fromme glaubt kein Patriarch.
NATHAN. Für den
Nun steh ich. Der wird seinem Patriarchen
Nichts Ungebührliches vollziehen helfen.
TEMPELHERR. So stellt er wenigstens sich an. – Doch hat
Er Euch von mir denn nichts gesagt?
NATHAN. Von Euch?
Von Euch nun namentlich wohl nichts. – Er weiß
Ja wohl auch schwerlich Euern Namen?
TEMPELHERR. Schwerlich.
NATHAN. Von einem Tempelherren freilich hat
Er mir gesagt ...
TEMPELHERR. Und was?
NATHAN. Womit er Euch
Doch ein für allemal nicht meinen kann!
TEMPELHERR. Wer weiß? Laßt doch nur hören.
NATHAN. Daß mich einer
Bei seinem Patriarchen angeklagt ...
TEMPELHERR.
Euch angeklagt? – Das ist, mit seiner Gunst –
Erlogen. – Hört mich, Nathan! – Ich bin nicht
Der Mensch, der irgend etwas abzuleugnen
Imstande wäre. Was ich tat, das tat ich!
Doch bin ich auch nicht der, der alles, was
Er tat, als wohlgetan verteid'gen möchte.
Was sollt' ich eines Fehls mich schämen? Hab
Ich nicht den festen Vorsatz ihn zu bessern?
Und weiß ich etwa nicht, wie weit mit dem
Es Menschen bringen können? – Hört mich, Nathan! –
Ich bin des Laienbruders Tempelherr,
Der Euch verklagt soll haben, allerdings. –
Ihr wißt ja, was mich wurmisch machte! was
Mein Blut in allen Adern sieden machte!
Ich Gauch! – ich kam, so ganz mit Leib und Seel'
Euch in die Arme mich zu werfen. Wie
Ihr mich empfingt – wie kalt – wie lau – denn lau
Ist schlimmer noch als kalt; wie abgemessen
Mir auszubeugen Ihr beflissen wart;
Mit welchen aus der Luft gegriffnen Fragen
Ihr Antwort mir zu geben scheinen wolltet:
Das darf ich kaum mir itzt noch denken, wenn
Ich soll gelassen bleiben. – Hört mich, Nathan! –
In dieser Gärung schlich mir Daja nach,
Und warf mir ihr Geheimnis an den Kopf,
Das mir den Aufschluß Euers rätselhaften
Betragens zu enthalten schien.
NATHAN. Wie das?
TEMPELHERR. Hört mich nur aus! – Ich bildete mir ein,
Ihr wolltet, was Ihr einmal nun den Christen
So abgejagt, an einen Christen wieder
Nicht gern verlieren. Und so fiel mir ein,
Euch kurz und gut das Messer an die Kehle
Zu setzen.
NATHAN. Kurz und gut? und gut? – Wo steckt
Das Gute?
TEMPELHERR. Hört mich, Nathan! – Allerdings:
Ich tat nicht recht! – Ihr seid wohl gar nicht schuldig. –
Die Närrin Daja weiß nicht was sie spricht –
Ist Euch gehässig – sucht Euch nur damit
In einen bösen Handel zu verwickeln –
Kann sein! kann sein! – Ich bin ein junger Laffe,
Der immer nur an beiden Enden schwärmt;
Bald viel zuviel, bald viel zuwenig tut –
Auch das kann sein! Verzeiht mir, Nathan.
NATHAN. Wenn
Ihr so mich freilich fasset –
TEMPELHERR. Kurz, ich ging
Zum Patriarchen! – hab Euch aber nicht
Genannt. Das ist erlogen, wie gesagt!
Ich hab ihm bloß den Fall ganz allgemein
Erzählt, um seine Meinung zu vernehmen. –
Auch das hätt' unterbleiben können: ja doch! –
Denn kannt' ich nicht den Patriarchen schon
Als einen Schurken? Konnt' ich Euch nicht selber
Nur gleich zur Rede stellen? – Mußt' ich der
Gefahr, so einen Vater zu verlieren,
Das arme Mädchen opfern? – Nun, was tut's?
Die Schurkerei