Ungekürztes Werk "Nathan der Weise" von Gotthold Ephraim Lessing (Seite 6)

Allerdings. –

Ich seh, dort mustert mit neugier'gem Blick

Ein Muselmann mir die beladenen

Kamele. Kennt Ihr ihn?

DAJA.  Ha! Euer Derwisch.

NATHAN.  Wer?

DAJA. Euer Derwisch; Euer Schachgesell!

NATHAN. Al-Hafi? das Al-Hafi?

DAJA. Itzt des Sultans

Schatzmeister.

NATHAN.   Wie? Al-Hafi? Träumst du wieder? –

Er ist's! – wahrhaftig, ist's! – kömmt auf uns zu.

Hinein mit Euch, geschwind! – Was werd ich hören!

Dritter Auftritt

Nathan und der Derwisch.

DERWISCH.

Reißt nur die Augen auf, so weit Ihr könnt!

NATHAN.

Bist du's? Bist du es nicht? – In dieser Pracht,

Ein Derwisch! ...

DERWISCH. Nun? warum denn nicht? Läßt sich

Aus einem Derwisch denn nichts, gar nichts machen?

NATHAN.

Ei wohl, genug! – Ich dachte mir nur immer,

Der Derwisch – so der rechte Derwisch – woll'

Aus sich nichts machen lassen.

DERWISCH.  Beim Propheten!

Daß ich kein rechter bin, mag auch wohl wahr sein.

Zwar wenn man muß –

NATHAN.   Muß! Derwisch! – Derwisch muß?

Kein Mensch muß müssen, und ein Derwisch müßte?

Was müßt' er denn?

DERWISCH.   Worum man ihn recht bittet,

Und er für gut erkennt: das muß ein Derwisch.

NATHAN. Bei unserm Gott! da sagst du wahr. – Laß dich

Umarmen, Mensch. – Du bist doch noch mein Freund?

DERWISCH.

Und fragt nicht erst, was ich geworden bin?

NATHAN. Trotzdem, was du geworden!

DERWISCH.   Könnt' ich nicht

Ein Kerl im Staat geworden sein, des Freundschaft

Euch ungelegen wäre?

NATHAN.    Wenn dein Herz

Noch Derwisch ist, so wag ich's drauf. Der Kerl

Im Staat, ist nur dein Kleid.

DERWISCH. Das auch geehrt

Will sein. – Was meint Ihr? ratet! – Was wär' ich

An Eurem Hofe?

NATHAN. Derwisch; weiter nichts.

Doch nebenher, wahrscheinlich – Koch.

DERWISCH. Nun ja!

Mein Handwerk bei euch zu verlernen. – Koch!

Nicht Kellner auch? – Gesteht, daß Saladin

Mich besser kennt. – Schatzmeister bin ich bei –

Ihm worden.

NATHAN.  Du? – bei ihm?

DERWISCH. Versteht:

Des kleinern Schatzes, – denn des größern waltet

Sein Vater noch – des Schatzes für sein Haus.

NATHAN. Sein Haus ist groß.

DERWISCH.   Und größer, als Ihr glaubt;

Denn jeder Bettler ist von seinem Hause.

NATHAN. Doch ist den Bettlern Saladin so feind –

DERWISCH. Daß er mit Strumpf und Stiel sie zu vertilgen

Sich vorgesetzt, – und sollt' er selbst darüber

Zum Bettler werden.

NATHAN.    Brav! – So mein ich's eben.

DERWISCH.

Er ist's auch schon, trotz einem! – Denn sein Schatz

Ist jeden Tag mit Sonnenuntergang

Viel leerer noch, als leer. Die Flut, so hoch

Sie morgens eintritt, ist des Mittags längst

Verlaufen –

NATHAN.  Weil Kanäle sie zum Teil

Verschlingen, die zu füllen oder zu

Verstopfen, gleich unmöglich ist.

DERWISCH. Getroffen!

NATHAN. Ich kenne das!

DERWISCH.    Es taugt nun freilich nichts,

Wenn Fürsten Geier unter Äsern sind.

Doch sind sie Äser unter Geiern, taugt's

Noch zehnmal weniger.

NATHAN.  O nicht doch, Derwisch!

Nicht doch!

DERWISCH. Ihr habt gut reden, Ihr! – Kommt an:

Was gebt Ihr mir? so tret ich meine Stell'

Euch ab.

NATHAN.   Was bringt dir deine Stelle?

DERWISCH.   Mir?

Nicht viel. Doch Euch, Euch kann sie trefflich wuchern.

Denn ist es Ebb' im Schatz, – wie öfters ist, –

So zieht Ihr Eure Schleusen auf: schießt vor,

Und nehmt an Zinsen, was Euch nur gefällt.

NATHAN. Auch vom Zins der Zinsen?

DERWISCH.    Freilich!

NATHAN.   Bis

Mein Kapital zu lauter Zinsen wird.

DERWISCH. Das lockt Euch nicht? – So schreibet unsrer Freundschaft

Nur gleich den Scheidebrief! Denn wahrlich hab

Ich sehr auf Euch gerechnet.

NATHAN. Wahrlich? Wie

Denn so? wieso denn?

DERWISCH.    Daß Ihr mir mein Amt

Mit Ehren würdet führen helfen; daß

Ich allzeit offne Kasse bei Euch hätte. –

Ihr schüttelt?

NATHAN.  

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