Ungekürztes Werk "Nathan der Weise" von Gotthold Ephraim Lessing (Seite 8)
verschränkten Palmen schon; und folgt
Ihm unverrückt. Sie läßt Euch bitten, – Euch
Beschwören, – ungesäumt ihn anzugehn.
O eilt! Sie wird Euch aus dem Fenster winken,
Ob er hinaufgeht oder weiter ab
Sich schlägt. O eilt!
NATHAN. So wie ich vom Kamele
Gestiegen? – Schickt sich das? – Geh, eile du
Ihm zu; und meld ihm meine Wiederkunft.
Gib acht, der Biedermann hat nur mein Haus
In meinem Absein nicht betreten wollen;
Und kömmt nicht ungern, wenn der Vater selbst
Ihn laden läßt. Geh, sag, ich laß ihn bitten,
Ihn herzlich bitten ...
DAJA. All umsonst! Er kömmt
Euch nicht. – Denn kurz; er kömmt zu keinem Juden.
NATHAN. So geh, geh wenigstens ihn anzuhalten;
Ihn wenigstens mit deinen Augen zu
Begleiten. – Geh, ich komme gleich dir nach.
(Nathan eilet hinein, und Daja heraus.)
Fünfter Auftritt
Szene: ein Platz mit Palmen, unter welchen der Tempelherr auf und nieder geht. Ein Klosterbruder folgt ihm in einiger Entfernung von der Seite, immer als ob er ihn anreden wolle.
TEMPELHERR. Der folgt mir nicht vor langer Weile! – Sieh,
Wie schielt er nach den Händen! – Guter Bruder, ...
Ich kann Euch auch wohl Vater nennen; nicht?
KLOSTERBRUDER.
Nur Bruder – Laienbruder nur; zu dienen.
TEMPELHERR.
Ja, guter Bruder, wer nur selbst was hätte!
Bei Gott! bei Gott! Ich habe nichts –
KLOSTERBRUDER. Und doch
Recht warmen Dank! Gott geb' Euch tausendfach,
Was Ihr gern geben wolltet. Denn der Wille
Und nicht die Gabe macht den Geber. – Auch
Ward ich dem Herrn Almosens wegen gar
Nicht nachgeschickt.
TEMPELHERR. Doch aber nachgeschickt?
KLOSTERBRUDER.
Ja; aus dem Kloster.
TEMPELHERR. Wo ich eben jetzt
Ein kleines Pilgermahl zu finden hoffte?
KLOSTERBRUDER.
Die Tische waren schon besetzt; komm' aber
Der Herr nur wieder mit zurück.
TEMPELHERR. Wozu?
Ich habe Fleisch wohl lange nicht gegessen:
Allein was tut's? Die Datteln sind ja reif.
KLOSTERBRUDER.
Nehm' sich der Herr in acht mit dieser Frucht.
Zu viel genossen taugt sie nicht; verstopft
Die Milz; macht melancholisches Geblüt.
TEMPELHERR.
Wenn ich nun melancholisch gern mich fühlte? –
Doch dieser Warnung wegen wurdet Ihr
Mir doch nicht nachgeschickt?
KLOSTERBRUDER. O nein! – Ich soll
Mich nur nach Euch erkunden; auf den Zahn
Euch fühlen.
TEMPELHERR. Und das sagt Ihr mir so selbst?
KLOSTERBRUDER.
Warum nicht?
TEMPELHERR. (Ein verschmitzter Bruder!) – Hat
Das Kloster Euresgleichen mehr?
KLOSTERBRUDER. Weiß nicht.
Ich muß gehorchen, lieber Herr.
TEMPELHERR. Und da
Gehorcht Ihr denn auch ohne viel zu klügeln?
KLOSTERBRUDER. Wär's sonst gehorchen, lieber Herr?
TEMPELHERR. (Daß doch
Die Einfalt immer Recht behält!) – Ihr dürft
Mir doch auch wohl vertrauen, wer mich gern
Genauer kennen möchte? – Daß Ihr's selbst
Nicht seid, will ich wohl schwören.
KLOSTERBRUDER. Ziemte mir's?
Und frommte mir's?
TEMPELHERR. Wem ziemt und frommt es denn,
Daß er so neubegierig ist? Wem denn?
KLOSTERBRUDER.
Dem Patriarchen; muß ich glauben. – Denn
Der sandte mich Euch nach.
TEMPELHERR. Der Patriarch?
Kennt der das rote Kreuz auf weißem Mantel
Nicht besser?
KLOSTERBRUDER.
Kenn ja ich's!
TEMPELHERR. Nun, Bruder? nun? –
Ich bin ein Tempelherr; und ein gefangner. –
Setz ich hinzu: gefangen bei Tebnin,
Der Burg, die mit des Stillstands letzter Stunde
Wir gern erstiegen hätten, um sodann
Auf Sidon loszugehn; – setz ich hinzu:
Selbzwanzigster gefangen und allein
Vom Saladin begnadiget: so weiß
Der Patriarch, was er zu wissen braucht; –
Mehr, als er braucht.
KLOSTERBRUDER. Wohl aber schwerlich mehr,
Als er schon weiß. – Er wüßt' auch gern, warum
Der Herr vom Saladin begnadigt worden;
Er ganz allein.
TEMPELHERR. Weiß ich das selber? – Schon
Den Hals entblößt, kniet' ich auf meinem Mantel,
Den Streich erwartend: als