Ungekürztes Werk "Galgenlieder" von Christian Morgenstern (Seite 7)

Korke spiegelt sich

in einem Lacktablett –

allein er säh sich dennoch nich,

selbst wenn er Augen hätt!

Das macht, dieweil er senkrecht steigt

zu seinem Spiegelbild!

Wenn man ihn freilich seitwärts neigt,

zerfällt, was oben gilt.

O Mensch, gesetzt, du spiegelst dich

im, sagen wir, im All!

Und senkrecht! – wärest du dann nich

ganz in demselben Fall?

Der Würfel

Ein Würfel sprach zu sich: »Ich bin

mir selbst nicht völlig zum Gewinn!

Denn meines Wesens sechste Seite,

und sei es auch Ein Auge bloß,

sieht immerdar, statt in die Weite,

der Erde ewig dunklen Schoß.«

Als dies die Erde, drauf er ruhte,

vernommen, ward ihr schlimm zumute.

»Du Esel,« sprach sie, »ich bin dunkel,

weil dein Gesäß mich just bedeckt!

Ich bin so licht wie ein Karfunkel,

sobald du dich hinweggefleckt.«

Der Würfel, innerlichst beleidigt,

hat sich nicht weiter drauf verteidigt.

Kronprätendenten

– »Ich bin der Graf von Réaumur

und haß euch wie die Schande!

Dient nur dem Celsio für und für,

ihr Apostatenbande!«

Im Winkel König Fahrenheit

hat still sein Mus gegessen.

– »Ach Gott, sie war doch schön, die Zeit,

da man nach mir gemessen!«

Die Weste

Es lebt in Süditalien eine Weste

an einer Kirche dämmrigem Altar.

Versteht mich recht: Noch dient sie Gott aufs beste.

Doch wie in Adam schon Herr Haeckel war,

(zum Beispiel bloß), so steckt in diesem Reste

Brokat voll Silberblümlein wunderbar

schon heut der krause Übergang verborgen

vom Geist von gestern auf den Wanst von morgen.

Der Walfafisch oder:

Das Überwasser

Das Wasser rinnt, das Wasser spinnt,

bis es die ganze Welt gewinnt.

  Das Dorf ersäuft,

  die Eule läuft,

und auf der Eiche sitzt ein Kind.

Dem Kind sind schon die Beinchen naß,

es ruft: »Das Wass, das Wass, das Wass!«

  Der Walfisch weint

  und sagt: »Mir scheint,

es regnet ohne Unterlaß.«

Das Wasser rann mit Zasch und Zisch,

die Erde ward zum Wassertisch.

  Und Kind und Eul,

  o Greul, o Greul –

sie frissifraß der Walfafisch.

Die Westküsten

Die Westküsten traten eines Tages zusammen

und erklärten, sie seien keine Westküsten,

weder Ostküsten noch Westküsten –

»daß sie nicht wüßten!«

Sie wollten wieder ihre Freiheit haben

und für immer das Joch des Namens abschütteln,

womit eine Horde von Menschenbütteln

sich angemaßt habe, sie zu begaben.

Doch wie sich befreien, wie sich erretten

aus diesen widerwärtigen Ketten?

»Ihr Westküsten,« fing eine an zu spotten,

»gedenkt ihr den Menschen etwan auszurotten?«

»Und wenn schon!« rief eine andre schrill.

»Wenn ich seine Magd nicht mehr heißen will?« –

»Dann blieben aber immer noch die Atlanten«, –

meinte eine von den asiatischen Tanten.

Schließlich, wie immer in solchen Fällen,

tat man eine Resolution aufstellen.

Fünfhundert Tintenfische wurden aufgetrieben,

und mit ihnen wurde folgendes geschrieben:

Wir Westküsten erklären hiermit einstimmig,

daß es uns nicht gibt, und zeichnen hochachtungsvoll:

Die vereinigten Westküsten der Erde. –

Und nun wollte man, daß dies verbreitet werde.

Sie riefen den Walfisch, doch er tats nicht achten;

sie riefen die Möwen, doch die Möwen lachten;

sie riefen die Wolke, doch die Wolke vernahm nicht;

sie riefen ich weiß nicht was, doch ich weiß nicht was kam nicht.

»Ja wieso denn, wieso?« schrie die Küste von Ekuador:

»Wärst du etwa kein Walfisch, du grober Tor?«

»Sehr richtig«, sagte der Walfisch mit vollkommener Ruh:

»Dein Denken, liebe Küste, dein Denken macht mich erst dazu.«

Da wars den Küsten, als sähn sie sich im Spiegel:

ganz seltsam erschien ihnen plötzlich ihr Gewiegel.

Still schwammen sie heim, eine jede nach ihrem Land.

Und die Resolution, die blieb unversandt.

Philanthropisch

Ein nervöser Mensch auf einer Wiese

wäre besser ohne sie daran;

darum

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