Ungekürztes Werk "Galgenlieder" von Christian Morgenstern (Seite 8)

seh er, wie er ohne diese

(meistens mindestens) leben kann.

Kaum, daß er gelegt sich auf die Gräser,

naht der Ameis, Heuschreck, Mück und Wurm,

naht der Tausendfuß und Ohrenbläser,

und die Hummel ruft zum Sturm.

Ein nervöser Mensch auf einer Wiese

tut drum besser, wieder aufzustehn

und dafür in andre Paradiese

(beispielshalber: weg) zu gehn.

Das Hemmed

Kennst du das einsame Hemmed?

  Flattertata, flattertata.

Ders trug, ist baß verdämmet!

  Flattertata, flattertata.

Es knattert und rattert im Winde.

  Windurudei, windurudei.

Es weint wie ein kleines Kinde.

  Windurudei, windurudei.

Das ist das einsame

  Hemmed.

Unter Schwarzkünstlern

Eines Mittags las man:

  Pfiffe zu mieten gesucht!

  Hundertweis, zu jedem Preis!

  Victor Emanuel Wasmann!

Um sechs Uhr kam der erste Pfiff

von einem alten Kohlenschiff.

Um acht Uhr warens tausend schon.

Um neun Uhr eine halbe Million.

Victor Emanuel Wasmann schlug

die Türe zu: »Nun ists genug!

Hört zu, ihr Pfiffe!

Ich habe einen Feind,« (hört! hört!)

»der mir des Nachts die Ruhe stört, –

auf den sollt ihr marschieren!

Er hat Gelächter angestellt,

die schickt er nachts mir an mein Bett,

da hocken sie auf der Decke,

mit Flügeln weiß und Flügeln rot,

und krähn und flattern mich zu Tod. –

Doch alles hat sein Ende.«

Die Pfiffe pfiffen wie Ein Mann;

empfingen ihren Sold sodann.

(Ein Schusterjungenpfiff sogar

bot Wasmann sich als Bravo dar.)

Drauf ließ er sie durchs Ofenloch …

Doch lange stand er brütend noch,

schrieb Zeichen, hob die Hand und schwur,

ein schwarzer Meister der Natur …

Bald nach diesem ging

ein Herr Axel Ring

kurzerhand

außer Land. –

Wasmann hatte gesiegt.

Unter Zeiten

Das Perfekt und das Imperfekt

  tranken Sekt.

Sie stießen aufs Futurum an

(was man wohl gelten lassen kann).

Plusquamper und Exaktfutur

  blinzten nur.

Der Traum der Magd

Am Morgen spricht die Magd ganz wild:

»Ich hab heut nacht ein Kind gestillt –

ein Kind mit einem Käs als Kopf –

und einem Horn am Hinterschopf!

Das Horn, o denkt euch, war aus Salz

und ging zu essen, und dann –«

     »Halt's –

halt's Maul«, so spricht die Frau, »und geh

an deinen Dienst, Zä-zi-li-e!«

Zäzilie

I

Das erste, des Zäzilie beflissen,

ist dies: sie nimmt von Tisch und Stuhl die Bücher

und legt sie Stück auf Stück, wie Taschentücher,

jeweils nach bestem Wissen und Gewissen.

Desgleichen ordnet sie die Schreibereien,

die Hefte, Mappen, Bleis und Gänsekiele,

vor Augen nur das eine Ziel der Ziele,

dem Genius Ordnung das Gemach zu weihen.

Denn Sauberkeit ist nicht zwar ihre Stärke,

doch Ordnung, Ordnung ist ihr eingeboren.

Ein Scheuerweib ist nicht an ihr verloren.

Dafür ist Symmetrie in ihrem Werke.

II

Zäzilie soll die Fenster putzen,

sich selbst zum Gram, jedoch dem Haus zum Nutzen.

»Durch meine Fenster muß man«, spricht die Frau,

»so durchsehn können, daß man nicht genau

erkennen kann, ob dieser Fenster Glas

Glas oder bloße Luft ist. Merk dir das.«

Zäzilie ringt mit allen Menschen-Waffen …

Doch Ähnlichkeit mit Luft ist nicht zu schaffen.

Zuletzt ermannt sie sich mit einem Schrei –

und schlägt die Fenster allesamt entzwei!

Dann säubert sie die Rahmen von den Resten,

und ohne Zweifel ist es so am besten.

Sogar die Dame spricht zunächst verdutzt:

»So hat Zäzilie ja noch nie geputzt.«

Doch alsobald ersieht man, was geschehn,

und sagt einstimmig: »Diese Magd muß gehn.«

Anto-Logie

Im Anfang lebte, wie bekannt,

als größter Säuger der Gig – ant.

Wobei gig eine Zahl ist, die

es nicht mehr gibt, – so groß war sie!

Doch jene Größe schwand wie Rauch.

Zeit gabs genug – und Zahlen auch.

Bis eines Tags, ein winzig Ding,

der Zwölef – ant das Reich empfing.

Wo

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