Ungekürztes Werk "Galgenlieder" von Christian Morgenstern (Seite 10)

unerhörtes Erlebnis!« …

Der heroische Pudel

Ein schwarzer Pudel, dessen Haar

des Abends noch wie Kohle war,

betrübte sich so höllenheiß,

weil seine Dame Flügel spielte,

trotzdem er heulte: daß (o Preis

dem Schmerz, der solchen Sieg erzielte!)

er beim Gekräh der Morgenhähne

aufstand als wie ein hoher Greis –

mit einer silberweißen Mähne.

Das Huhn

In der Bahnhofhalle, nicht für es gebaut,

geht ein Huhn

hin und her …

Wo, wo ist der Herr Stationsvorsteh'r?

Wird dem Huhn

man nichts tun?

Hoffen wir es! Sagen wir es laut:

daß ihm unsre Sympathie gehört,

selbst an dieser Stätte, wo es – ›stört‹!

Möwenlied

Die Möwen sehen alle aus,

als ob sie Emma hießen.

Sie tragen einen weißen Flaus

und sind mit Schrot zu schießen.

Ich schieße keine Möwe tot,

ich laß sie lieber leben –

und füttre sie mit Roggenbrot

und rötlichen Zibeben.

O Mensch, du wirst nie nebenbei

der Möwe Flug erreichen.

Wofern du Emma heißest, sei

zufrieden, ihr zu gleichen.

Igel und Agel

Ein Igel saß auf einem Stein

und blies auf einem Stachel sein.

Schalmeiala, schalmeialü!

Da kam sein Feinslieb Agel

und tat ihm schnigel schnagel

zu seinen Melodein.

Schnigula schnagula

schnaguleia lü!

Das Tier verblies sein Flötenhemd …

»Wie siehst du aus so furchtbar fremd!?«

Schalmeiala, schalmeialü –.

Feins-Agel ging zum Nachbar, ach!

Den Igel aber hat der Bach

zum Weiher fortgeschwemmt.

Wigula wagula

waguleia wü

Der Werwolf

Ein Werwolf eines Nachts entwich

von Weib und Kind und sich begab

an eines Dorfschullehrers Grab

und bat ihn: »Bitte, beuge mich!«

Der Dorfschulmeister stieg hinauf

auf seines Blechschilds Messingknauf

und sprach zum Wolf, der seine Pfoten

geduldig kreuzte vor dem Toten:

»Der Werwolf,« sprach der gute Mann,

»des Weswolfs, Genitiv sodann,

dem Wemwolf, Dativ, wie mans nennt,

den Wenwolf, – damit hats ein End.«

Dem Werwolf schmeichelten die Fälle,

er rollte seine Augenbälle.

»Indessen,« bat er, »füge doch

zur Einzahl auch die Mehrzahl noch!«

Der Dorfschulmeister aber mußte

gestehn, daß er von ihr nichts wußte.

Zwar Wölfe gäbs in großer Schar,

doch ›Wer‹ gäbs nur im Singular.

Der Wolf erhob sich tränenblind –

er hatte ja doch Weib und Kind!!

Doch da er kein Gelehrter eben,

so schied er dankend und ergeben.

Die Fingur

Es lacht die Nachtalp-Henne,

es weint die Windhorn-Gans,

es bläst der schwarze Senne

zum Tanz.

Ein Uhu-Tauber turtelt

nach seiner Uhuin.

Ein kleiner Sechs-Elf hurtelt

von Busch zu Busch dahin …

Und Wiedergänger gehen,

und Raben rufen kolk,

und aus den Teichen sehen

die Fingur und ihr Volk …

Das Fest des Wüstlings

(Zu flüstern)

Was stört so schrill die stille Nacht?

Was sprüht der Lichter Lüsterpracht?

  Das ist das Fest des Wüstlings!

Was huscht und hascht und weint und lacht?

Was cymbelt gell? Was flüstert sacht?

  Das ist das Fest des Wüstlings!

Die Pracht der Nacht ist jach entfacht!

Die Tugend stirbt, das Laster lacht!

  Das ist das Fest des Wüstlings!

KM 21

Ein Rabe saß auf einem Meilenstein

und rief Ka-em-zwei-ein, Ka-em-zwei-ein …

Der Werhund lief vorbei, im Maul ein Bein,

der Rabe rief Ka-em-zwei-ein, zwei-ein.

Vorüber zottelte das Zapfenschwein,

der Rabe rief und rief Ka-em-zwei-ein.

»Er ist besessen!« – kam man überein.

»Man führe ihn hinweg von diesem Stein!«

Zwei Hasen brachten ihn zum Kräuterdachs.

Sein Hirn war ganz verstört und weich wie Wachs.

Noch sterbend rief er (denn er starb dort) sein

Ka-em-zwei-ein, Ka-em, Ka-em-zwei-ein.

Geiß und Schleiche

Die Schleiche singt ihr Nachtgebet,

die Waldgeiß staunend vor ihr steht.

Die Waldgeiß schüttelt ihren Bart

wie ein Magister hochgelahrt.

Sie weiß nicht, was die Schleiche singt,

sie hört nur, daß es lieblich klingt.

Die Schleiche fällt in Schlaf alsbald.

Die Geiß

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