Ungekürztes Werk "Die Räuber" von Friedrich Schiller (Seite 26)

der Ochse den Kornwagen in die Scheune gezogen hat, so muß er mit Heu vorlieb nehmen. Dir eine Stallmagd, und keine Amalia! (Geht ab.)

Zweite Szene

Des alten Moors Schlafzimmer.

Der alte Moor schlafend in einem Lehnsessel. Amalia.

Amalia (sachte herbeischleichend). Leise, leise! er schlummert. (Sie stellt sich vor den Schlafenden.) Wie schön, wie ehrwürdig! – ehrwürdig, wie man die Heiligen malt. – Nein, ich kann dir nicht zürnen! Weißlockigtes Haupt, dir kann ich nicht zürnen! Schlummre sanft, wache froh auf, ich allein will hingehn und leiden.

Der Alte Moor (träumend). Mein Sohn! mein Sohn! mein Sohn!

Amalia (ergreift seine Hand). Horch, horch! sein Sohn ist in seinen Träumen.

Der Alte Moor. Bist du da? bist du wirklich? Ach, wie siehst du so elend? Sieh mich nicht an mit diesem kummervollen Blick! Ich bin elend genug.

Amalia (weckt ihn schnell). Seht auf, lieber Greis! Ihr träumtet nur. Faßt Euch!

Der Alte Moor (halb wach). Er war nicht da? Drückt ich nicht seine Hände? Garstiger Franz! willst du ihn auch meinen Träumen entreißen?

Amalia. Merkst du’s, Amalia?

Der Alte Moor (ermuntert sich). Wo ist er? wo? wo bin ich? Du da, Amalia?

Amalia. Wie ist Euch? Ihr schlieft einen erquickenden Schlummer.

Der Alte Moor. Mir träumte von meinem Sohn. Warum hab ich nicht fortgeträumt? Vielleicht hätt ich Verzeihung erhalten aus seinem Munde.

Amalia. Engel grollen nicht – er verzeiht Euch. (Faßt seine Hand mit Wehmut.) Vater meines Karls! ich verzeih Euch.

Der Alte Moor. Nein, meine Tochter! diese Totenfarbe deines Angesichts verdammet den Vater. Armes Mädchen! Ich brachte dich um die Freuden deiner Jugend – o, fluche mir nicht!

Amalia (küßt seine Hand mit Zärtlichkeit). Euch?

Der Alte Moor. Kennst du dieses Bild, meine Tochter?

Amalia. Karls! –

Der Alte Moor. So sah er, als er ins sechzehnte Jahr ging. Itzt ist er anders. – O, es wütet in meinem Innern – diese Milde ist Unwillen, dieses Lächeln Verzweiflung. – Nicht wahr, Amalia? Es war an seinem Geburtstage in der Jasminlaube, als du ihn maltest? – O meine Tochter! Eure Liebe machte mich so glücklich.

Amalia (immer das Aug auf das Bild geheftet). Nein, nein! er ist’s nicht. Bei Gott! das ist Karl nicht. – Hier, hier (auf Herz und Stirne zeigend) so ganz, so anders. Die träge Farbe reicht nicht, den himmlischen Geist nachzuspiegeln, der in seinem feurigen Auge herrschte. Weg damit! Dies ist so menschlich! Ich war eine Stümperin.

Der Alte Moor. Dieser huldreiche, erwärmende Blick – wär er vor meinem Bette gestanden, ich hätte gelebt mitten im Tode! Nie, nie wär ich gestorben!

Amalia. Nie, nie wärt Ihr gestorben! Es wär ein Sprung gewesen, wie man von einem Gedanken auf einen andern und schönern hüpft – dieser Blick hätt Euch übers Grab hinübergeleuchtet. Dieser Blick hätt Euch über die Sterne getragen!

Der Alte Moor. Es ist schwer, es ist traurig! Ich sterbe, und mein Sohn Karl ist nicht hier – ich werde zu Grabe getragen, und er weint nicht an meinem Grabe. – Wie süß ist’s, eingewiegt zu werden in den Schlaf des Todes von dem Gebet eines Sohnes – das ist Wiegengesang.

Amalia (schwärmend). Ja, süß, himmlisch süß

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