Ungekürztes Werk "Die Räuber" von Friedrich Schiller (Seite 82)
droben unsere Sterne feindlich voneinander fliehen – Tod ist meine Bitte nur. – Verlassen, verlassen! Nimm es ganz in seiner entsetzlichen Fülle, verlassen! Ich kann’s nicht überdulden. Du siehst ja, das kann kein Weib überdulden. Tod ist meine Bitte nur! Sieh, meine Hand zittert! Ich habe das Herz nicht, zu stoßen. Mir bangt vor der blitzenden Schneide – Dir ist’s ja so leicht, so leicht, bist ja Meister im Morden, zeuch dein Schwert, und ich bin glücklich!
RÄUBER MOOR. Willst du allein glücklich sein? Fort! Ich töte kein Weib!
AMALIA. Ha, Würger! Du kannst nur die Glücklichen töten, die Lebenssatten gehst du vorüber! (Kriecht zu den Räubern.) So erbarmet euch meiner, ihr Schüler des Henkers! – Es ist ein so blutdürstiges Mitleid in euren Blicken, das dem Elenden Trost ist – Euer Meister ist ein eitler, feigherziger Prahler.
RÄUBER MOOR. Weib, was sagst du? (Die Räuber wenden sich ab.)
AMALIA. Kein Freund? Auch unter diesen nicht ein Freund? (Sie steht auf.) Nun denn, so lehre mich Dido sterben! (Sie will gehen, ein Räuber zielt.)
RÄUBER MOOR. Halt! Wag es – Moors Geliebte soll nur durch Moor sterben! (Er ermordet sie.)
DIE RÄUBER. Hauptmann, Hauptmann! Was machst du? Bist du wahnsinnig worden?
RÄUBER MOOR (auf den Leichnam mit starrem Blick). Sie ist getroffen! Dies Zucken noch, und dann wird’s vorbei sein. – Nun, seht doch! Habt ihr noch was zu fodern? Ihr opfertet mir ein Leben auf, ein Leben, das schon nicht mehr euer war, ein Leben voll Abscheulichkeit und Schande – Ich hab euch einen Engel geschlachtet. Wie, seht doch recht her! Seid ihr nunmehr zufrieden?
GRIMM. Du hast deine Schuld mit Wucher bezahlt. Du hast getan, was kein Mann würde für seine Ehre tun. Komm itzt weiter!
RÄUBER MOOR. Sagst du das? Nicht wahr, das Leben einer Heiligen um das Leben der Schelmen, es ist ungleicher Tausch? – O, ich sage euch, wenn jeder unter euch aufs Blutgerüste ging und sich ein Stück Fleisch nach dem andern mit glühender Zange abzwicken ließ, daß die Marter elf Sommertäge dauerte, es wiege diese Tränen nicht auf. (Mit bitterem Gelächter.) Die Narben, die böhmischen Wälder! Ja, ja! Dies mußte freilich bezahlt werden.
SCHWARZ. Sei ruhig, Hauptmann! Komm mit uns, der Anblick ist nicht für dich. Führe uns weiter!
RÄUBER MOOR. Halt – Noch ein Wort, eh wir weiter gehn. – Merket auf, ihr schadenfrohe Schergen meines barbarischen Winks. – Ich höre von diesem Nun an auf, euer Hauptmann zu sein. – Mit Scham und Grauen leg ich hier diesen blutigen Stab nieder, worunter zu freveln ihr euch berechtiget wähntet, und mit Werken der Finsternis dies himmlische Licht zu besudeln. – Gehet hin zur Rechten und Linken – Wir wollen ewig niemals gemeine Sache machen.
RÄUBER. Ha, Mutloser! Wo sind deine hochfliegenden Plane? Sind’s Seifenblasen gewesen, die beim Hauch eines Weibes zerplatzen?
RÄUBER MOOR. O, über mich Narren, der ich wähnete, die Welt durch Greuel zu verschönern und die Gesetze durch Gesetzlosigkeit aufrecht zu halten! Ich nannte es Rache und Recht – ich maßte mich an, o Vorsicht, die Scharten deines Schwerts auszuwetzen und deine Parteilichkeiten gut zu machen – aber – o eitle Kinderei – da steh ich am Rand eines entsetzlichen Lebens und erfahre nun mit Zähnklappern und Heulen, daß zwei Menschen wie ich den ganzen Bau der sittlichen Welt zugrund richten würden. Gnade – Gnade dem Knaben, der dir vorgreifen wollte – Dein eigen allein ist die Rache. Du bedarfst nicht des Menschen Hand. Freilich steht’s nun in meiner Macht nicht mehr, die Vergangenheit einzuholen – Schon bleibt verdorben, was verdorben ist – Was ich gestürzt habe, steht ewig niemals mehr auf. – Aber noch blieb mir etwas übrig, womit ich die beleidigte Gesetze versöhnen und die mißhandelte Ordnung wiederum heilen kann. Sie bedarf eines Opfers – eines Opfers, das ihre unverletzbare Majestät vor der ganzen Menschheit entfaltet – dieses Opfer bin ich selbst. Ich selbst muß für sie des Todes sterben.
RÄUBER. Nimmt ihm den Degen weg – Er will sich umbringen.
RÄUBER MOOR. Toren ihr! Zu ewiger Blindheit verdammt! Meinet ihr wohl gar, eine Todsünden werde das Äquivalent gegen Todsünden sein? Meinet ihr, die Harmonie der Welt werde durch diesen gottlosen Mißlaut gewinnen? (Wirft ihnen seine Waffen verächtlich vor die Füße.) Er soll mich lebendig haben. Ich geh, mich selbst in die Hände der Justiz zu überliefern.
RÄUBER. Legt ihn an Ketten! Er ist rasend worden.
RÄUBER MOOR. Nicht, als ob ich zweifelte, sie werde mich zeitig genug finden, wenn die obere Mächte es so wollen. Aber sie möchte mich im Schlaf überrumpeln oder auf der Flucht ereilen, oder mit Zwang und Schwert umarmen, und dann wäre mir auch das einige Verdienst entwischt, daß ich mit Willen für sie gestorben bin. Was soll ich, gleich einem Diebe, ein Leben länger verheimlichen, das mir schon lang im Rat der himmlischen Wächter genommen ist?
RÄUBER. Laßt ihn hinfahren! Es ist die Großmannsucht. Er will sein Leben an eitle Bewunderung setzen.
RÄUBER MOOR. Man könnte mich darum bewundern. (Nach einigem Nachsinnen.) Ich erinnere mich, einen armen Schelm gesprochen zu haben, als ich herüberkam, der im Taglohn arbeitet und elf lebendige Kinder hat. – Man hat tausend Louisdore geboten, wer den großen Räuber lebendig liefert. Dem Mann kann geholfen werden. (Er geht ab.)