Ungekürztes Werk "Die Räuber" von Friedrich Schiller (Seite 79)

kann ihm seinen Sohn doch nicht mehr schenken! – Nein! Ich will’s nicht tun.

DER ALTE MOOR. Wie, Freund? Was hast du da gemurmelt?

RÄUBER MOOR. Dein Sohn – ja, alter Mann – (Stammelnd.) Dein Sohn ist – ewig – verloren.

DER ALTE MOOR. Ewig?

RÄUBER MOOR (in der fürchterlichsten Beklemmung gen Himmel sehend). O, nur diesmal laß meine Seele nicht matt werden – nur diesmal halte mich aufrecht!

DER ALTE MOOR. Ewig, sagst du?

RÄUBER MOOR. Frage nichts weiter! Ewig, sagt ich.

DER ALTE MOOR. Fremdling! Fremdling! Warum zogst du mich aus dem Turme?

RÄUBER MOOR. Und wie? – Wenn ich jetzt seinen Segen weghaschte – haschte, wie ein Dieb, und mich davon schlich mit der göttlichen Beute? – Vatersegen, sagt man, geht niemals verloren.

DER ALTE MOOR. Auch mein Franz verloren? –

RÄUBER MOOR (stürzt vor ihm nieder). Ich zerbrach die Riegel deines Turms – Gib mir deinen Segen!

DER ALTE MOOR (mit Schmerz). Daß du den Sohn vertilgen mußtest, Retter des Vaters! – Siehe, die Gottheit ermüdet nicht im Erbarmen, und wir armseligen Würmer gehen schlafen mit unserm Groll. (Legt seine Hand auf des Räubers Haupt.) Sei so glücklich, als du dich erbarmest!

RÄUBER MOOR (weichmütig aufstehend). O – wo ist meine Mannheit? Meine Sehnen werden schlapp, der Dolch sinkt aus meinen Händen.

DER ALTE MOOR. Wie köstlich ist’s, wenn Brüder einträchtig beisammen wohnen, wie der Tau, der vom Hermon fällt auf die Berge Zion. – Lern diese Wollust verdienen, junger Mann, und die Engel des Himmels werden sich sonnen in deiner Glorie. Deine Weisheit sei die Weisheit der grauen Haare, aber dein Herz – Dein Herz sei das Herz der unschuldigen Kindheit!

RÄUBER MOOR. O, einen Vorschmack dieser Wollust! Küsse mich, göttlicher Greis!

DER ALTE MOOR (küßt ihn). Denk, es sei Vaterskuß, so will ich denken, ich küsse meinen Sohn. – Du kannst auch weinen?

RÄUBER MOOR. Ich dacht, es sei Vaterskuß! – Weh mir, wenn sie ihn jetzt brächten!

Schweizers Gefährten treten auf im stummen Trauerzug, mit gesenkten Häuptern und verhüllten Gesichtern.

RÄUBER MOOR. Himmel! (Tritt scheu zurück und sucht sich zu verbergen. Sie ziehen an ihm vorüber. Er sieht weg von ihnen. Tiefe Pause. Sie halten.)

GRIMM (mit gesenktem Ton). Mein Hauptmann! (Räuber Moor antwortet nicht und tritt weiter zurück.)

SCHWARZ. Teurer Hauptmann! (Räuber Moor weicht weiter zurück.)

GRIMM. Wir sind unschuldig, mein Hauptmann!

RÄUBER MOOR (ohne nach ihnen hinzuschauen). Wer seid ihr?

GRIMM. Du blickst uns nicht an? Deine Getreuen.

RÄUBER MOOR. Weh euch, wenn ihr mir getreu wart!

GRIMM. Das letzte Lebewohl von deinem Knecht Schweizer – er kehrt nie wieder, dein Knecht Schweizer.

RÄUBER MOOR (aufspringend). So habt ihr ihn nicht gefunden?

SCHWARZ. Tot gefunden.

RÄUBER MOOR (froh emporhüpfend). Habe Dank, Lenker der Dinge! – Umarmet mich, meine Kinder! – Erbarmung sei von nun an die Losung. – Nun wär auch das überstanden – alles überstanden.

Neue Räuber. Amalia.

RÄUBER. Heisa, heisa! Ein Fang, ein superber Fang!

AMALIA (mit fliegenden Haaren). Die Toten, schreien sie, seien erstanden auf seine Stimme – mein Oheim lebendig – in diesem Wald. – Wo ist er? Karl! Oheim! – Ha! (Stürzt auf den Alten zu.)

DER ALTE MOOR. Amalia! Meine Tochter! Amalia! (Hält sie in

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