Ungekürztes Werk "Die Räuber" von Friedrich Schiller (Seite 4)

ist nicht für einen zerbrechlichen Körper.

Der Alte Moor. Gott! Gott! was werd ich hören?

Franz. Laßt mich vorerst auf die Seite gehn und eine Träne des Mitleids vergießen um meinen verlornen Bruder. – Ich sollte schweigen auf ewig – denn er ist Euer Sohn; ich sollte seine Schande verhüllen auf ewig – denn er ist mein Bruder. – Aber Euch gehorchen, ist meine erste, traurige Pflicht – darum vergebt mir!

Der Alte Moor. O Karl! Karl! Wüßtest du, wie deine Aufführung das Vaterherz foltert! Wie eine einzige frohe Nachricht von dir meinem Leben zehen Jahre zusetzen würde – mich zum Jüngling machen würde – da mich nun jede, ach! – einen Schritt näher ans Grab rückt.

Franz. Ist es das, alter Mann, so lebt wohl – wir alle würden noch heute die Haare ausraufen über eurem Sarge.

Der Alte Moor. Bleib! – Es ist noch um den kleinen kurzen Schritt zu tun – laß ihm seinen Willen. (Indem er sich niedersetzt.) Die Sünden seiner Väter werden heimgesucht im dritten und vierten Glied – laß ihn’s vollenden!

Franz (nimmt den Brief aus der Tasche). Ihr kennt unsern Korrespondenten! Seht! Den Finger meiner rechten Hand wollt ich drum geben, dürft ich sagen, er ist ein Lügner, ein schwarzer, giftiger Lügner. – – Faßt Euch! Ihr vergebt mir, wenn ich Euch den Brief nicht selbst lesen lasse – noch dürft Ihr nicht alles hören.

Der Alte Moor. Alles, alles – mein Sohn, du ersparst mir die Krücke.

Franz (liest). »Leipzig, vom 1. Mai. – Verbände mich nicht eine unverbrüchliche Zusage, Dir auch nicht das geringste zu verhehlen, was ich von den Schicksalen Deines Bruders auffangen kann, liebster Freund, nimmermehr würde meine unschuldige Feder an Dir zur Tyrannin geworden sein. Ich kann aus hundert Briefen von Dir abnehmen, wie Nachrichten dieser Art Dein brüderliches Herz durchbohren müssen; mir ist’s, als säh ich Dich schon um den Nichtswürdigen, den Abscheulichen« – – (Der alte Moor verbirgt sein Gesicht.) Seht, Vater! ich lese Euch nur das Glimpflichste – »den Abscheulichen in tausend Tränen ergossen,« – ach! sie flossen – stürzten stromweis von dieser mitleidigen Wange – »mir ist’s, als säh ich schon Deinen alten, frommen Vater totenbleich« – Jesus Maria! Ihr seid’s, eh Ihr noch das mindeste wisset?

Der Alte Moor. Weiter! Weiter!

Franz. »totenbleich in seinen Stuhl zurücktaumeln, und dem Tage fluchen, an dem ihm zum erstenmal ›Vater‹ entgegengestammelt ward. Man hat mir nicht alles entdecken mögen, und von dem wenigen, das ich weiß, erfährst Du nur weniges. Dein Bruder scheint nun das Maß seiner Schande gefüllt zu haben; ich wenigstens kenne nichts über dem, was er wirklich erreicht hat, wenn nicht sein Genie das meinige hierin übersteigt. Gestern um Mitternacht hatte er den großen Entschluß, noch vierzigtausend Dukaten Schulden« – ein hübsches Taschengeld, Vater! – »nachdem er zuvor die Tochter eines reichen Bankiers allhier entjungfert und ihren Galan, einen braven Jungen von Stand, im Duell auf den Tod verwundet, mit sieben andern, die er mit in sein Luderleben gezogen, dem Arm der Justiz zu entlaufen.« – Vater! Um Gottes willen, Vater! Wie wird

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