Ungekürztes Werk "Die Räuber" von Friedrich Schiller (Seite 7)

aus Eurem Fleische geschnitten. Er ist Euer Augapfel gewesen bisher; nun aber – ärgert dich dein Auge, sagt die Schrift, so reiß es aus. Es ist besser, einäugig gen Himmel, als mit zwei Augen in die Hölle. Es ist besser, kinderlos gen Himmel, als wenn beide, Vater und Sohn, in die Hölle fahren. So spricht die Gottheit!

Der Alte Moor. Du willst, ich soll meinen Sohn verfluchen?

Franz. Nicht doch! nicht doch! – Euren Sohn sollt Ihr nicht verfluchen. Was heißt Ihr Euren Sohn? – dem Ihr das Leben gegeben habt, wenn er sich auch alle ersinnliche Mühe gibt, das Eurige zu verkürzen?

Der Alte Moor. Oh, das ist allzuwahr! das ist ein Gericht über mich. Der Herr hat’s ihm geheißen!

Franz. Seht Ihr’s, wie kindlich Euer Busenkind an Euch handelt? Durch Eure väterliche Teilnehmung erwürgt er Euch, mordet Euch durch Eure Liebe, hat Euer Vaterherz selbst bestochen, Euch den Garaus zu machen. Seid Ihr einmal nicht mehr, so ist er Herr Eurer Güter, König seiner Triebe. Der Damm ist weg, und der Strom seiner Lüste kann itzt freier dahinbrausen. Denkt Euch einmal an seine Stelle! Wie oft muß er den Vater unter die Erde wünschen – wie oft den Bruder – die ihm im Lauf seiner Exzesse so unbarmherzig im Weg stehen! Ist das aber Liebe gegen Liebe? Ist das kindliche Dankbarkeit gegen väterliche Milde? Wenn er dem geilen Kitzel eines Augenblicks zehn Jahre Eures Lebens aufopfert? wenn er den Ruhm seiner Väter, der sich schon sieben Jahrhunderte unbefleckt erhalten hat, in einer wollüstigen Minute aufs Spiel setzt? Heißt Ihr das Euren Sohn? Antwortet! heißt Ihr das einen Sohn?

Der Alte Moor. Ein unzärtliches Kind! ach! aber mein Kind doch! mein Kind doch!

Franz. Ein allerliebstes, köstliches Kind, dessen ewiges Studium ist, keinen Vater zu haben – O, daß Ihr’s begreifen lerntet! daß Euch die Schuppen fielen vom Auge! Aber Eure Nachsicht muß ihn in seinen Liederlichkeiten befestigen, Euer Vorschub ihnen Rechtmäßigkeit geben. Ihr werdet freilich den Fluch von seinem Haupte laden; auf Euch, Vater, auf Euch wird der Fluch der Verdammnis fallen.

Der Alte Moor. Gerecht! sehr gerecht! Mein, mein ist alle Schuld!

Franz. Wie viele Tausende, die voll sich gesoffen haben vom Becher der Wollust, sind durch Leiden gebessert worden! Und ist nicht der körperliche Schmerz, der jedes Übermaß begleitet, ein Fingerzeig des göttlichen Willens? Sollte ihn der Mensch durch seine grausame Zärtlichkeit verkehren? Soll der Vater das ihm anvertraute Pfand auf ewig zugrunderichten? – Bedenkt, Vater, wenn Ihr ihn in seinem Elend auf einige Zeit preisgeben werdet, wird er nicht entweder umkehren müssen und sich bessern? oder er wird auch in der großen Schule des Elends ein Schurke bleiben, und dann – wehe dem Vater, der die Ratschlüsse einer höheren Weisheit durch Verzärtelung zernichtet! – Nun, Vater?

Der Alte Moor. Ich will ihm schreiben, daß ich meine Hand von ihm wende.

Franz. Da tut Ihr recht und klug daran.

Der Alte Moor. Daß er nimmer vor meine Augen komme.

Franz. Das wird eine heilsame Wirkung tun.

Der Alte Moor (zärtlich). Bis er anders worden!

Franz. Schon recht, schon recht. Aber,

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