Ungekürztes Werk "Kabale und Liebe" von Friedrich Schiller (Seite 35)

Zwar keinen haben ist Verdammnis genug! – Mein Vater auf Verletzung der Majestät – mein Geliebter die Lady oder Fluch und Enterbung – Wahrlich bewundernswert! Eine vollkommene Büberei ist auch eine Vollkommenheit – Vollkommenheit? Nein! dazu fehlte noch etwas – – Wo ist meine Mutter?

WURM: Im Spinnhaus.

LUISE mit schmerzvollem Lächeln: Jetzt ist es völlig! – völlig, und jetzt wär ich ja frei – Abgeschält von allen Pflichten – und Tränen – und Freuden. Abgeschält von der Vorsicht. Ich brauch sie ja nicht mehr – Schreckliches Stillschweigen. Haben Sie vielleicht noch eine Zeitung? Reden Sie immerhin. Jetzt kann ich alles hören.

WURM: Was geschehen ist, wissen Sie.

LUISE: Also nicht, was noch kommen wird? Wiederum Pause, worin sie den Sekretär von oben bis unten ansieht. Armer Mensch! Du treibst ein trauriges Handwerk, wobei du ohnmöglich selig werden kannst. Unglückliche machen ist schon schrecklich genug, aber gräßlich ist's, es ihnen verkündigen – Ihn vorzusingen den Eulengesang, dabeizustehn, wenn das blutende Herz am eisernen Schaft der Notwendigkeit zittert, und Christen an Gott zweifeln. – Der Himmel bewahre mich! und würde dir jeder Angsttropfe, den du fallen siehst, mit einer Tonne Golds aufgewogen – ich möchte nicht du sein – – Was kann noch geschehen?

WURM: Ich weiß nicht.

LUISE: Sie wollen nicht wissen? – Diese lichtscheue Botschaft fürchtet das Geräusch der Worte, aber in der Grabstille Ihres Gesichts zeigt sich mir das Gespenst – Was ist noch übrig – Sie sagten vorhin, der Herzog wolle es auffallend ahnden? Was nennen Sie auffallend?

WURM: Fragen Sie nichts mehr.

LUISE: Höre Mensch! Du gingst beim Henker zur Schule. Wie verstündest du sonst, das Eisen erst langsam-bedächtlich an den knirschenden Gelenken hinaufzuführen, und das zuckende Herz mit dem Streich der Erbarmung zu necken? – Welches Schicksal wartet auf meinen Vater? – Es ist Tod in dem, was du lachend sagst, wie mag das aussehen, was du an dich hältst? Sprich es aus. Laß mich sie auf einmal haben die ganze zermalmende Ladung. Was wartet auf meinen Vater?

WURM: Ein Kriminalprozeß.

LUISE: Was ist aber das? – Ich bin ein unwissendes unschuldiges Ding, verstehe mich wenig auf eure fürchterliche lateinische Wörter. Was heißt Kriminalprozeß?

WURM: Gericht um Leben und Tod.

LUISE standhaft: So dank ich Ihnen!

Sie eilt schnell in ein Seitenzimmer.

WURM steht betroffen da: Wo will das hinaus? Sollte die Närrin etwa? – Teufel! sie wird doch nicht – Ich eile nach – ich muß für ihr Leben bürgen. Im Begriff, ihr zu folgen.

LUISE kommt zurück, einen Mantel umgeworfen: Verzeihen Sie, Sekretär. Ich schließe das Zimmer.

WURM: Und wohin denn so eilig?

LUISE: Zum Herzog. Will fort.

WURM: Was? Wohin? Er hält sie erschrocken zurück.

LUISE: Zum Herzog. Hören Sie nicht? Zu ebendem Herzog, der meinen Vater auf Tod und Leben will richten lassen – Nein! Nicht will – muß richten lassen, weil einige Böswichter wollen; der zu dem ganzen Prozeß der beleidigten Majestät nichts hergibt, als eine Majestät und seine fürstliche Handschrift.

WURM lacht überlaut: Zum Herzog!

LUISE: Ich weiß, worüber Sie lachen – aber ich will ja auch kein Erbarmen dort finden – Gott bewahre mich! nur Ekel – Ekel

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