Ungekürztes Werk "Kabale und Liebe" von Friedrich Schiller (Seite 34)

Gram in einsamen Mauren, um seine Tränen wird sich niemand bekümmern – Leer und erstorben ist meine Zukunft – Doch werd ich noch je und je am verwelkten Strauß der Vergangenheit riechen. Indem sie ihm mit abgewandten Gesicht ihre zitternde Hand gibt. Leben Sie wohl Herr von Walter.

FERDINAND springt aus seiner Betäubung auf: Ich entfliehe, Luise. Wirst du mir wirklich nicht folgen?

LUISE hat sich im Hintergrund des Zimmers niedergesetzt, und hält das Gesicht mit beiden Händen bedeckt: Meine Pflicht heißt mich bleiben und dulden.

FERDINAND: Schlange, du lügst. Dich fesselt was anders hier.

LUISE im Ton des tiefsten inwendigen Leidens: Bleiben Sie bei dieser Vermutung – sie macht vielleicht weniger elend.

FERDINAND: Kalte Pflicht gegen feurige Liebe! – Und mich soll das Märchen blenden? – Ein Liebhaber fesselt dich, und Weh über dich und ihn, wenn mein Verdacht sich bestätigt.

Geht schnell ab.

Fünfte Szene

Luise allein.

Sie bleibt noch eine Zeitlang ohne Bewegung und stumm in dem Sessel liegen, endlich steht sie auf, kommt vorwärts, und sieht furchtsam herum.

Wo meine Eltern bleiben? – Mein Vater versprach in wenigen Minuten zurück zu sein, und schon sind fünf volle fürchterliche Stunden vorüber – Wenn ihm ein Unfall – Wie wird mir? – Warum geht mein Odem so ängstlich?

Jetzt tritt Wurm in das Zimmer, und bleibt im Hintergrund stehen, ohne von ihr bemerkt zu werden.

Es ist nichts Wirkliches – Es ist nichts als das schaudernde Gaukelspiel des erhitzten Geblüts – Hat unsre Seele nur einmal Entsetzen genug in sich getrunken, so wird das Aug in jedem Winkel Gespenster sehn.

Sechste Szene

Luise und Sekretär Wurm.

WURM kommt näher: Guten Abend Jungfer.

LUISE: Gott! Wer spricht da? Sie dreht sich um, wird den Sekretär gewahr, und tritt erschrocken zurück: Schrecklich! Schrecklich! Meiner ängstlichen Ahndung eilt schon die unglückseligste Erfüllung nach! Zum Sekretär mit einem Blick voll Verachtung: Suchen Sie etwa den Präsidenten? Er ist nicht mehr da.

WURM: Jungfer, ich suche Sie.

LUISE: So muß ich mich wundern, daß Sie nicht nach dem Marktplatz gingen.

WURM: Warum eben dahin?

LUISE: Ihre Braut von der Schandbühne abzuholen.

WURM: Mamsell Millerin, Sie haben einen falschen Verdacht –

LUISE unterdrückt eine Antwort: Was steht Ihnen zu Diensten?

WURM: Ich komme, geschickt von Ihrem Vater.

LUISE bestürzt: Von meinem Vater? – Wo ist mein Vater?

WURM: Wo er nicht gern ist.

LUISE: Um Gottes willen! Geschwind! Mich befällt eine üble Ahndung – Wo ist mein Vater?

WURM: Im Turm, wenn Sie es ja wissen wollen.

LUISE mit einem Blick zum Himmel: Das noch! das auch noch! – – Im Turm? Und warum im Turm?

WURM: Auf Befehl des Herzogs.

LUISE: Des Herzogs?

WURM: Der die Verletzung der Majestät in der Person seines Stellvertreters –

LUISE: Was? Was? O ewige Allmacht!

WURM: Auffallend zu ahnden beschlossen hat.

LUISE: Das war noch übrig! Das! – freilich, freilich, mein Herz hatte noch außer dem Major etwas Teures – Das durfte nicht übergangen werden – Verletzung der Majestät – Himmlische Vorsicht! Rette, o rette meinen sinkenden Glauben! – und Ferdinand?

WURM: Wählt Lady Milford oder Fluch und Enterbung.

LUISE: Entsetzliche Freiheit! – und doch – doch ist er glücklicher. Er hat keinen Vater zu verlieren.

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