Ungekürztes Werk "Kabale und Liebe" von Friedrich Schiller (Seite 36)

nur an meinem Geschrei. Man hat mir gesagt, daß die Großen der Welt noch nicht belehrt sind, was Elend ist – nicht wollen belehrt sein. Ich will ihm sagen was Elend ist – will es ihm vormalen in allen Verzerrungen des Todes, was Elend ist – will es ihm vorheulen in Mark und Bein zermalmenden Tönen, was Elend ist – und wenn ihm jetzt über der Beschreibung die Haare zu Berge fliegen, will ich ihm noch zum Schluß in die Ohren schrein, daß in der Sterbestunde auch die Lungen der Erdengötter zu röcheln anfangen, und das Jüngste Gericht Majestäten und Bettler in dem nämlichen Siebe rüttle. Sie will gehen.

WURM boshaft freundlich: Gehen Sie, o gehen Sie ja. Sie können wahrlich nichts Klügeres tun. Ich rate es Ihnen, gehen Sie, und ich gebe Ihnen mein Wort, daß der Herzog willfahren wird.

LUISE steht plötzlich still: Wie sagen Sie? – Sie raten mir selbst dazu? Kommt schnell zurück. Hm! Was will ich denn? Etwas Abscheuliches muß es sein, weil dieser Mensch dazu ratet – Woher wissen Sie, daß der Fürst mir willfahren wird?

WURM: Weil er es nicht wird umsonst tun dürfen.

LUISE: Nicht umsonst? Welchen Preis kann er auf eine Menschlichkeit setzen?

WURM: Die schöne Supplikantin ist Preises genug.

LUISE bleibt erstarrt stehn, dann mit brechendem Laut: Allgerechter!

WURM: Und einen Vater werden Sie doch, will ich hoffen, um diese gnädige Taxe nicht überfodert finden?

LUISE auf und ab, außer Fassung: Ja! Ja! Es ist wahr. Sie sind verschanzt eure Großen – verschanzt vor der Wahrheit hinter ihre eigene Laster, wie hinter Schwerter der Cherubim – Helfe dir der Allmächtige, Vater. Deine Tochter kann für dich sterben, aber nicht sündigen.

WURM: Das mag ihm wohl eine Neuigkeit sein dem armen verlassenen Mann – »Meine Luise«, sagte er mir, »hat mich zu Boden geworfen. Meine Luise wird mich auch aufrichten« – Ich eile Mamsell, ihm die Antwort zu bringen.

Stellt sich als ob er ginge.

LUISE eilt ihm nach, hält ihn zurück: Bleiben Sie! Bleiben Sie! Geduld! – Wie flink dieser Satan ist, wenn es gilt, Menschen rasend zu machen! – Ich hab ihn niedergeworfen. Ich muß ihn aufrichten. Reden Sie! Raten Sie! Was kann ich? Was muß ich tun?

WURM: Es ist nur ein Mittel.

LUISE: Dieses einzige Mittel?

WURM: Auch Ihr Vater wünscht –

LUISE: Auch mein Vater? – Was ist das für ein Mittel?

WURM: Es ist Ihnen leicht.

LUISE: Ich kenne nichts Schwerers als die Schande.

WURM: Wenn Sie den Major wieder frei machen wollen?

LUISE: Von seiner Liebe? Spotten Sie meiner? – Das meiner Willkür zu überlassen, wozu ich gezwungen ward?

WURM: So ist es nicht gemeint, liebe Jungfer. Der Major muß zuerst und freiwillig zurücktreten.

LUISE: Er wird nicht.

WURM: So scheint es. Würde man denn wohl seine Zuflucht zu Ihnen nehmen, wenn nicht Sie allein dazu helfen könnten?

LUISE: Kann ich ihn zwingen, daß er mich hassen muß?

WURM: Wir wollen versuchen. Setzen Sie sich.

LUISE betreten: Mensch! Was brütest du?

WURM: Setzen Sie sich. Schreiben Sie! Hier ist Feder, Papier und Dinte.

LUISE setzt sich in höchster Beunruhigung: Was soll ich schreiben? An wen soll ich schreiben?

WURM: An den

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