Ungekürztes Werk "Kabale und Liebe" von Friedrich Schiller (Seite 48)
mein Wille, daß der Inhalt nicht unter vier Augen bleibe.
Hofmarschall liest; unterdessen sammeln sich die Bedienten der Lady im Hintergrund.
»Gnädigster Herr,
Ein Vertrag, den Sie so leichtsinnig brachen, kann mich nicht mehr binden. Die Glückseligkeit Ihres Landes war die Bedingung meiner Liebe. Drei Jahre währte der Betrug. Die Binde fällt mir von den Augen; ich verabscheue Gunstbezeugungen, die von den Tränen der Untertanen triefen. – Schenken Sie die Liebe, die ich Ihnen nicht mehr erwidern kann, Ihrem weinenden Lande, und lernen von einer britischen Fürstin Erbarmen gegen Ihr teutsches Volk. In einer Stunde bin ich über der Grenze.
Johanna Norfolk.«
Alle Bediente murmeln bestürzt durcheinander: Über der Grenze?
HOFMARSCHALL legt die Karte erschrocken auf den Tisch: Behüte der Himmel, meine Beste und Gnädige! Den Überbringer müßte der Hals ebenso jucken, als der Schreiberin.
LADY: Das ist deine Sorge du Goldmann – Leider weiß ich es, daß du und deinesgleichen am Nachbeten dessen, was andre getan haben, erwürgen! – Mein Rat wäre, man backte den Zettel in eine Wildpretpastete, so fänden ihn Serenissimus auf dem Teller –
HOFMARSCHALL: Ciel! Diese Vermessenheit! – So erwägen Sie doch, so bedenken Sie doch, wie sehr Sie sich in Disgrace setzen, Lady.
Lady wendet sich zu der versammelten Dienerschaft und spricht das Folgende mit der innigsten Rührung: Ihr steht bestürzt guten Leute, erwartet angstvoll, wie sich das Rätsel entwickeln wird? – Kommt näher, meine Lieben – Ihr dientet mir redlich und warm, sahet mir öfter in die Augen, als in die Börse, euer Gehorsam war eure Leidenschaft, euer Stolz – meine Gnade! – – Daß das Andenken eurer Treue zugleich das Gedächtnis meiner Erniedrigung sein muß! Trauriges Schicksal, daß meine schwärzesten Tage eure glücklichen waren – Mit Tränen in den Augen. Ich entlasse euch meine Kinder – – Lady Milford ist nicht mehr, und Johanna von Norfolk zu arm, ihre Schuld abzutragen – Mein Schatzmeister stürze meine Schatulle unter euch – Dieser Palast bleibt dem Herzog – Der Ärmste von euch wird reicher von hinnen gehen als seine Gebieterin. Sie reicht ihre Hände hin, die alle nacheinander mit Leidenschaft küssen. Ich verstehe euch meine Guten – Lebt wohl! Lebt ewig wohl! Faßt sich aus ihrer Beklemmung. Ich höre den Wagen vorfahren. Sie reißt sich los, will hinaus, der Hofmarschall verrennt ihr den Weg. Mann des Erbarmens, stehst du noch immer da?
HOFMARSCHALL der diese ganze Zeit über mit einem Geistesbankerott auf den Zettel sah: Und dieses Billett soll ich Seiner Hochfürstlichen Durchlaucht zu höchsteigenen Händen geben?
LADY: Mann des Erbarmens! zu höchsteigenen Händen, und sollst melden zu höchsteigenen Ohren, weil ich nicht barfuß nach Loreto könne, so werde ich um den Taglohn arbeiten, mich zu reinigen von dem Schimpf, ihn beherrscht zu haben.
Sie eilt ab. Alle übrigen gehen sehr bewegt auseinander.
Fünfter Akt
Abends zwischen Licht, in einem Zimmer beim Musikanten.
Erste Szene
Luise sitzt stumm und ohne sich zu rühren in dem finstersten Winkel des Zimmers, den Kopf auf den Arm gesunken. Nach einer großen und tiefen Pause kommt Miller mit einer Handlaterne, leuchtet ängstlich im Zimmer herum, ohne