Ungekürztes Werk "Wilhelm Tell" von Friedrich Schiller (Seite 2)
fressen
Mit Begierde Gras, und Wächter scharrt die Erde.
WERNI: Die Fische springen, und das Wasserhuhn
Taucht unter. Ein Gewitter ist im Anzug.
KUONI zum Buben:
Lug Seppi, ob das Vieh sich nicht verlaufen.
SEPPI: Die braune Liesel kenn ich am Geläut.
KUONI: So fehlt uns keine mehr, die geht am weitsten.
RUODI: Ihr habt ein schön Geläute, Meister Hirt.
WERNI: Und schmuckes Vieh – Ist's Euer eignes, Landsmann?
KUONI: Bin nit so reich – 's ist meines gnäd'gen Herrn,
Des Attinghäusers, und mir zugezählt.
RUODI: Wie schön der Kuh das Band zu Halse steht!
KUONI: Das weiß sie auch, daß sie den Reihen führt,
Und nähm ich ihr's, sie hörte auf zu fressen.
RUODI: Ihr seid nicht klug! Ein unvernünft'ges Vieh –
WERNI: Ist bald gesagt. Das Tier hat auch Vernunft,
Das wissen wir, die wir die Gemsen jagen,
Die stellen klug, wo sie zur Weide gehn,
'ne Vorhut aus, die spitzt das Ohr und warnet
Mit heller Pfeife, wenn der Jäger naht.
RUODI zum Hirten:
Treibt Ihr jetzt heim?
KUONI: Die Alp ist abgeweidet.
WERNI: Glücksel'ge Heimkehr, Senn!
KUONI: Die wünsch ich Euch,
Von Eurer Fahrt kehrt sich's nicht immer wieder.
RUODI: Dort kommt ein Mann in voller Hast gelaufen.
WERNI: Ich kenn ihn, 's ist der Baumgart von Alzellen.
Konrad Baumgarten atemlos hereinstürzend.
BAUMGARTEN: Um Gottes willen, Fährmann, Euren Kahn!
RUODI: Nun, nun, was gibt's so eilig?
BAUMGARTEN: Bindet los!
Ihr rettet mich vom Tode! Setzt mich über!
KUONI: Landsmann, was habt Ihr?
WERNI: Wer verfolgt Euch denn?
BAUMGARTEN zum Fischer:
Eilt, eilt, sie sind mir dicht schon an den Fersen!
Des Landvogts Reiter kommen hinter mir,
Ich bin ein Mann des Tods, wenn sie mich greifen.
RUODI: Warum verfolgen Euch die Reisigen?
BAUMGARTEN: Erst rettet mich, und dann steh ich Euch Rede.
WERNI: Ihr seid mit Blut befleckt, was hat's gegeben?
BAUMGARTEN: Des Kaisers Burgvogt, der auf Roßberg saß –
KUONI:
Der Wolfenschießen! Läßt Euch der verfolgen?
BAUMGARTEN:
Der schadet nicht mehr, ich hab ihn erschlagen.
ALLE fahren zurück:
Gott sei Euch gnädig! Was habt Ihr getan?
BAUMGARTEN: Was jeder freie Mann an meinem Platz!
Mein gutes Hausrecht hab ich ausgeübt
Am Schänder meiner Ehr und meines Weibes.
KUONI: Hat Euch der Burgvogt an der Ehr geschädigt?
BAUMGARTEN:
Daß er sein bös Gelüsten nicht vollbracht,
Hat Gott und meine gute Axt verhütet.
WERNI: Ihr habt ihm mit der Axt den Kopf zerspalten?
KUONI: O laßt uns alles hören, Ihr habt Zeit,
Bis er den Kahn vom Ufer losgebunden.
BAUMGARTEN:
Ich hatte Holz gefällt im Wald, da kommt
Mein Weib gelaufen in der Angst des Todes.
Der Burgvogt lieg in meinem Haus, er hab
Ihr anbefohlen, ihm ein Bad zu rüsten.
Drauf hab er Ungebührliches von ihr
Verlangt, sie sei entsprungen mich zu suchen.
Da lief ich frisch hinzu, so wie ich war,
Und mit der Axt hab ich ihm 's Bad gesegnet.
WERNI: Ihr tatet wohl, kein Mensch kann Euch drum schelten.
KUONI: Der Wüterich! Der hat nun seinen Lohn!
Hat's lang verdient ums Volk von Unterwalden.
BAUMGARTEN:
Die Tat ward ruchtbar, mir wird nachgesetzt –
Indem wir sprechen – Gott – verrinnt die Zeit –
Es fängt an zu donnern.
KUONI: Frisch Fährmann – Schaff den Biedermann hinüber.
RUODI: Geht nicht. Ein schweres Ungewitter ist
Im Anzug. Ihr müßt warten.
BAUMGARTEN: Heil'ger Gott!
Ich kann nicht warten. Jeder Aufschub tötet –
KUONI zum Fischer:
Greif an mit Gott, dem Nächsten muß man helfen,
Es kann uns allen Gleiches ja begegnen.
Brausen und Donnern.
RUODI: Der Föhn ist los, ihr seht