Ungekürztes Werk "Wilhelm Tell" von Friedrich Schiller (Seite 49)

offne Straßen,

An keine Hütte wag ich anzupochen –

Der Wüste kehr ich meine Schritte zu,

Mein eignes Schrecknis irr ich durch die Berge,

Und fahre schaudernd vor mir selbst zurück,

Zeigt mir ein Bach mein unglückselig Bild.

O wenn Ihr Mitleid fühlt und Menschlichkeit –

Fällt vor ihm nieder.

TELL abgewendet: Steht auf! Steht auf!

PARRICIDA:

Nicht bis Ihr mir die Hand gereicht zur Hülfe.

TELL: Kann ich Euch helfen? Kann's ein Mensch der Sünde?

Doch stehet auf – Was Ihr auch Gräßliches

Verübt – Ihr seid ein Mensch – Ich bin es auch –

Vom Tell soll keiner ungetröstet scheiden –

Was ich vermag, das will ich tun.

PARRICIDA aufspringend und seine Hand mit Heftigkeit ergreifend:

O Tell!

Ihr rettet meine Seele von Verzweiflung.

TELL:

Laßt meine Hand los – Ihr müßt fort. Hier könnt

Ihr unentdeckt nicht bleiben, könnt entdeckt

Auf Schutz nicht rechnen – Wo gedenkt Ihr hin?

Wo hofft Ihr Ruh zu finden?

PARRICIDA:  Weiß ich's? Ach!

TELL: Hört was mir Gott ins Herz gibt – Ihr müßt fort

Ins Land Italien, nach Sankt Peters Stadt,

Dort werft Ihr Euch dem Papst zu Füßen, beichtet

Ihm Eure Schuld und löset Eure Seele.

PARRICIDA:

Wird er mich nicht dem Rächer überliefern?

TELL: Was er Euch tut, das nehmet an von Gott.

PARRICIDA:

Wie komm ich in das unbekannte Land?

Ich bin des Wegs nicht kundig, wage nicht

Zu Wanderern die Schritte zu gesellen.

TELL: Den Weg will ich Euch nennen, merket wohl!

Ihr steigt hinauf, dem Strom der Reuß entgegen,

Die wildes Laufes von dem Berge stürzt –

PARRICIDA erschrickt:

Seh ich die Reuß? Sie floß bei meiner Tat.

TELL: Am Abgrund geht der Weg und viele Kreuze

Bezeichnen ihn, errichtet zum Gedächtnis

Der Wanderer, die die Lawine begraben.

PARRICIDA: Ich fürchte nicht die Schrecken der Natur,

Wenn ich des Herzens wilde Qualen zähme.

TELL: Vor jedem Kreuze fallet hin und büßet

Mit heißen Reuetränen Eure Schuld –

Und seid Ihr glücklich durch die Schreckensstraße,

Sendet der Berg nicht seine Windeswehen

Auf Euch herab von dem beeisten Joch,

So kommt Ihr auf die Brücke, welche stäubet.

Wenn sie nicht einbricht unter Eurer Schuld,

Wenn Ihr sie glücklich hinter Euch gelassen,

So reißt ein schwarzes Felsentor sich auf,

Kein Tag hat's noch erhellt – da geht Ihr durch,

Es führt Euch in ein heitres Tal der Freude –

Doch schnellen Schritts müßt Ihr vorübereilen,

Ihr dürft nicht weilen, wo die Ruhe wohnt.

PARRICIDA: O Rudolf! Rudolf! Königlicher Ahn!

So zieht dein Enkel ein auf deines Reiches Boden!

TELL: So immer steigend kommt Ihr auf die Höhen

Des Gotthards, wo die ew'gen Seen sind,

Die von des Himmels Strömen selbst sich füllen.

Dort nehmt Ihr Abschied von der deutschen Erde,

Und muntern Laufs führt Euch ein andrer Strom

Ins Land Italien hinab, Euch das gelobte –

Man hört den Kuhreihen von vielen Alphörnern geblasen.

Ich höre Stimmen. Fort.

HEDWIG eilt herein:  Wo bist du Tell?

Der Vater kommt! Es nahn in frohem Zug

Die Eidgenossen alle –

PARRICIDA verhüllt sich:  Wehe mir!

Ich darf nicht weilen bei den Glücklichen.

TELL: Geh liebes Weib. Erfrische diesen Mann,

Belad ihn reich mit Gaben, denn sein Weg

Ist weit und keine Herberg findet er.

Eile! Sie nahn.

HEDWIG:  Wer ist es?

TELL:Forsche nicht!

Und wenn er geht, so wende deine Augen,

Daß sie nicht sehen, welchen Weg er wandelt!

Parricida geht auf den Tell zu mit einer raschen Bewegung, dieser aber

bedeutet ihn mit der Hand und geht. Wenn beide zu

verschiedenen Seiten abgegangen, verändert sich der Schauplatz,

und man sieht in der

Letzten Szene

den ganzen Talgrund vor Tells Wohnung, nebst den Anhöhen,

welche ihn einschließen, mit Landleuten besetzt, welche sich

zu einem Ganzen gruppieren. Andere kommen über einen hohen Steg,

der über den Schächen führt, gezogen. Walther Fürst mit

den beiden Knaben, Melchtal und Stauffacher kommen vorwärts,

andre drängen nach; wie Tell heraustritt, empfangen ihn alle

mit lautem Frohlocken.

ALLE: Es lebe Tell! der Schütz und der Erretter!

Indem sich die vordersten um den Tell drängen und ihn umarmen,

erscheinen noch Rudenz und Berta, jener die Landleute,

diese die Hedwig umarmend. Die Musik vom Berge begleitet diese

stumme Szene. Wenn sie geendigt, tritt Berta in die Mitte des Volks.

BERTA: Landleute! Eidgenossen! Nehmt mich auf

In euern Bund, die erste Glückliche,

Die Schutz gefunden in der Freiheit Land.

In eure tapfre Hand leg ich mein Recht,

Wollt ihr als eure Bürgerin mich schützen?

LANDLEUTE: Das wollen wir mit Gut und Blut.

BERTA: Wohlan!

So reich ich diesem Jüngling meine Rechte,

Die freie Schweizerin dem freien Mann!

RUDENZ: Und frei erklär ich alle meine Knechte.

Indem die Musik von neuem rasch einfällt, fällt der Vorhang.

Seiten